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Hexenverfolgung
ERNEST BORNEMAN
Hexen |
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In Aachen gibt es zwar keine Frauen, aber so ähnliche Gestalten haben, als ich dort Mathematik und Geschichte studierte, am Vorabend des 1. Mai "Walpurgisnachtdemonstrationen" veranstaltet. Dort wurden Parolen wie "Trauschein ist kein Hauschein" [Warum heiraten, Leasing ist doch so günstig] oder "Männer verpißt euch, keine vermißt euch" gerufen, was später von Tic Tac Toe als "Verpiß Dich" noch zu einem erfolgreichen Rap gemacht wurde. Die Gruppe wurde auch durch die moderne Auffassung von Partnerschaft bekannt: Die Frau erobert die Welt, der Mann hängt zu Hause rum. (Diesen Scherz habe ich aus den "Mitternachtsspitzen".) Heutzutage finden Veranstaltungen zur Walpurgisnacht wohl hauptsächlich im Harz statt, wo Ost- und Westfrauen, bzw. ihre unterschiedlichen Vorstellungen schon heftig aufeinandergeprallt sein sollen. Jedenfalls ist mir der Tag Anlaß, an die Hexenverfolgung zu erinnern.
Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Bei wohl keinem anderen Thema fühle ich mich so auf der Seite der Frauenbewegung wie bei Gewalt gegen Frauen. Das liegt vielleicht nur daran, daß ich mich nicht als potentieller Vergewaltiger sehe und auch nicht so gesehen werden möchte. Ich kann auch nicht verstehen, wieso rechtschaffene Menschen gleich gegen Ausländerfeindlichkeit demonstrieren, wenn wie in Krefeld die Wohnung einer türkischen Familie abgebrannt wurde, und gleich damit aufhören, wenn herauskommen, daß es der Familienvater war, dessen Ehre durch seine Tochter verletzt war. Das läßt sich auch nicht durch kulturelle Besonderheiten rechtfertigen. Diesen Widerspruch hat ALICE SCHWARZER mal bemerkt, ich finde jetzt nicht wieder, wo es war. Ich suche allerdings auch noch eine Erklärung dafür, wieso Schläger immer eine Frau finden, die sich schlagen läßt, und mich jahrelang keine will. (Dazu ein Einwand von ERIN PIZZEY)
Und es scheint mir, daß viele Feministinnen (und sympathisierende Männer sind manchmal noch schlimmer, wie die Reaktionen auf Surftipp 10/2000 zeigen) heute nicht mehr wichtig von nebensächlich unterscheiden können. Mütter, die nur Töchter bekamen, familiär zu schneiden (nicht besuchen, nach der Geburt kein Essen geben), Mädchen genital zu verstümmeln, Frauen von Bildungsmöglichkeiten auszuschließen, das ist doch wirklich schlimmer als Blicke und Einladungen. Auch hierzulande gibt es noch viel zu verbessern: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Bleiberecht für importierte Bräute, Wohnungsverweis für Schläger usw. Stattdessen scheint aber z.B. das Frauenreferat der Hochschule, die mich verdorben hat, andere Prioritäten zu setzen:
Infoblatt der RWTH-Frauenbeauftragten zu "Sexuelle Belästigung im Studium"
...Sexuelle Belästigung sind unwillkommene verbale oder nonverbale - mittels Blicken, Bildern und Gesten - vorgenommene sexuelle Annäherungsversuche: Hinterherpfeifen, Anstarren, taxierende Blicke, anzügliche Witze...
Sexuelle Nötigungen sind z.B. private Einladungen mit offensichtlich sexuellen Absichten...
Ich gehe nach wie vor davon aus, daß zur Nötigung die Drohung mit einem empfindlichen Übel gehört. Manche dieser Belästigungen und Nötigungen wären mir durchaus willkommen. Wenn schon ein Blick ein Fehler sein kann, dann besuche ich doch lieber Ausstellungen, da darf ich immerhin schauen (wenn auch nicht immer fotografieren). Und wo man mir komisch kommt, wie im Kaiser-Wilhelm-Museum Krefeld, wo selbst der bestimmungsgemäße Gebrauch eines Kugelschreibers verboten ist, gehe ich nicht mehr hin. (vgl Surftipp 46/1999.)
Zur Feminismuskritik gibt es wenig Literatur, aber inzwischen immerhin ein Netzwerk im WWW. Der Autor der meisten Beiträge, JAN DEICHMOHLE, ist vor allem verbittert, weil seine Arbeit nicht veröffentlicht wird (über 400 Ablehnungen von Verlagen und anderen Medien). Das erklärt sicher einige Schärfen in seinen Texten, die ich nicht unterstütze.
Am 30.11.1999 wies mich KLAUS GRAF auf seine Homepage bei der Uni Koblenz hin. Diesem Hinweis verdanke ich die meisten der hier genannten seriösen Hyperlinks. Die unseriösen stammen von Suchmaschinen.
Seriöse historische Angebote zum Thema Hexen sind im Internet äusserst selten. Eine exzellente Bibliographie findet man auf der Seite des Witchcraft Bibliography Project samt Linkzusammenstellung von LEE HUDDLESTONE von der University of North Texas.
Ich füge noch hinzu:
Die Verweise von DIETMAR NIX sind ebenfalls ein hervorragender Ausgangspunkt für weitere Erkundungen. Er scheut nicht vor scharfen Wertungen zurück. Einem aktuellen Vergleich, bei dem man kaum glauben kann, daß er sich mit den Arbeitsbedingungen von Zwangsarbeitern in Nazideutschland beschäftigt hat, hätte er sich allerdings verkneifen sollen:
4.79
http://www.kirchenopfer.de/hexen.html
Eine "Würzburger Initiative" möchte im Fahrwasser von NS-Zwangsarbeiter-Entschädigungen auch die Kirche abschöpfen wegen der "Hexenverfolgung". Dazu wird hier ebenfalls das übliche Programm der "Zaster & Mahnmal GmbH" angesetzt . Als historische Anspruchsgrundlage dienen Kramers Hexenhammer und blühende Phantasie. Die Autoren der Seite sollten überlegen, ob es sich nicht lohnen könnte, nach bewährter Masche moralisch zu drohen: etwa damit, bei Nichtzahlung künftig nicht mehr in die Sonntagsmesse zu gehen und keine Gebetbücher mehr zu kaufen. Die Seite hat kabarettistischen Unterhaltungswert, scheint aber ernst gemeint zu sein und findet auch Nachahmer [N.S.: Hervorhebungen von mir]
Ganz seriös ist sicher die Encyclopaedia Britannica.
Sie enthält einen unfangreichen Artikel über "witchcraft" mit
den Kapiteln
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LUCIAN BERNHARD |
KLAUS GRAF setzt sich mit einem populären Buch auseinander, das vor etwa einem Jahrzehnt erschien:
Wir erleben in diesem Aufsatz die Auseinandersetzung eines Sozialhistorikers mit einem Folkloristen. GRAF findet zwar die Mythen und Riten, die GINZBURG in der frühen Neuzeit gefunden hat, interessant und betrachtet das Buch ("ein außergewöhnlich gelehrtes Werk") als Herausforderung, nennt aber den Zusammenhang, den GINZBURG behauptet, eine Fiktion. Ein Urteil möchte ich darüber nicht abgeben, weil meine Kenntnisse irgendwo bei Soldan und Heppe stehengeblieben sind.
Beachtet auch KLAUS GRAFs Text
Der erwähnte DIETMAR NIX hat bei der Uni Köln eine sehr schöne Online-Ausstellung über Hexen gestaltet. Anscheinend ist er Raucher, den er mißt die Ladezeit in Zigarettenlängen. Eine Übersichtsseite erlaubt immer die Betrachtung von oft drei tiefergehenden Texten. Nicht nur die Navigation ist überzeugend gelungen, vor allem überzeugen die Ausführungen über Forschungsprobleme und Opferzahlen:
Während sich im 18. und 19. Jahrhundert die Opferangaben noch nach Millionen gegenseitig überboten (Spitzenreiter 20 Mio.), mußten diese Zahlen während der zunehmenden Analyse der Dokumente und Zeugnisse schrittweise immer weiter reduziert werden. Nach heutigem Stand der Kenntnisse gab es schätzungsweise 100.000 Opfer in Europa und 20.000 im deutschsprachigen Raum während einer Zeit von etwa 150 bis 200 Jahren.
Nicht zustimmen kann ich aber seinem Vergleich mit den deutschen Verkehrstoten innerhalb von zwei Jahren, da jetzt wesentlich mehr Menschen in diesem Gebiet leben. Mit e-Mail vom 2.5. teilte er mir mit, wie der Vergleich gemeint war:
Bei meinem Verkehrstoten-Vergleich hatte ich die niedrigere Bevölkerungsdichte schon berücksichtigt, wollte dies aber nicht zu lang ausführen:
Wie ich hörte, lag die Bevölkerungsdichte bei etwa 30% gegenüber heute. Dafür aber war das Staatsgebiet etwa dreimal größer (incl. Schweiz, Belgien, Niederlande, Österreich, Norditalien, Ostfrankreich, Balkan). Dann wäre man grob bei etwa 90% im Vergleich. Hinzu kommt dann der Zeitraum von ca. 200 Jahren (Malefiz) gegenüber 20 Jahren (Verkehr). Ergo bleibt es auch bei anderen Rechenansätzen dabei, daß wir in kürzerer Zeit mehr Verkehrstote hatten als Malefiztote.
Beachtenswert ist sein Hinweis, daß der Frauenanteil nicht überall riesig war. Als Gegenbeispiel bringt er Würzburg:
Hilfreich ist auch das Bildarchiv, aus dem ich mich hier bei diesen Buchtiteln bedient habe.
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HEINRICH INSTITOR: Malleus Maleficarum.Opus Egregium: de variis incantationum generibus origine : progressu : medelatione ordinaria damnatione : compilatus ab eximiis HEINRICO INSTITORIS : et JACOBO SPRENGER ordinis predicator sacre pagine doctoribus et heretice pestis inquisitoribus : non tamen utilis et necessarius. Eme, lege, necte precii poenitebit. Nürnberg 1519. |
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FRIEDRICH SPEE von Langenfeld SJ: Cautio Criminalis seu de processibus contra sagas liber. Ad Magistratus Germanie hoc tempore necessarius, tum autem Consiliariis, & Confessariis Principum, Inquisitoribus, Judicibus, Advocatis, Confessariis reorum, Concionatoribus, caeterisq. lectu utilissimus. MARTIN ENDTER, Nürnberg/Sulzbach 1695. |
RAINER DECKER bietet bei seinen Aufsätzen zum Thema andere regionale Schwerpunkte, nämlich Paderborn und Sauerland. Lesenswert ist auch sein Vergleich von FRIEDRICH SPEEs "Cautio Criminalis" und der Hexenprozeßordnung der römischen Inquisition. Seine These lautet:
Die Spitze der katholischen Kirche war in der Blütezeit der Hexenprozesse, im 16. und 17. Jahrhundert, in dieser Hinsicht sehr viel vorsichtiger, wenn man so will: aufgeklärter als die meisten ihrer deutschen Vertreter.
DREWERMANN und den vielen anderen Kirchenkritikern, denen das Hexenthema wohlfeile Argumente liefert, hätten schon Bedenken kommen müssen, wenn sie das 15. Kapitel von SPEEs Cautio Criminalis aufmerksam gelesen hätten:
"Jedenfalls sehen die Italiener und Spanier, die anscheinend von Natur aus mehr dazu veranlagt sind, diese Dinge zu bedenken und zu überlegen, welch unzählbare Menge Unschuldiger sie hinrichten müßten, wenn sie die Deutschen nachahmen wollten. Darum lassen sie es mit Recht sein und überlassen dies Geschäft, Hexen zu verbrennen, uns allein, die wir ja lieber unserm Eifer nachgeben als bei dem Gebot des Meisters Christus uns zu beruhigen."
In der Tat hat die "Hexenverfolgung" vor allem in Deutschland Opfer gefordert. In die gleiche Richtung zielt DECKER auch mit
"Ihre Prozessführung verstösst auch gegen das Naturrecht"
Wie die römische Inquisition 15 Bündner Hexenkindern das Leben rettete.
In: Bündner Monatsblatt. Zeitschrift für bündnerische Geschichte und Landeskunde 1999 Heft 3 S. 179-191.
Diese neue Erkenntnis verdankt er der Öffnung des Archivs der Glaubenskongregation. Wer hätte das gedacht?
ROLF STRASSER sieht den "Ursprung zu einem grossen Teil in den heidnischen Götter- und Dämonenvorstellungen. Diese lebten in den Köpfen der Menschen fort, auch lange nachdem Europa christianisiert war, und teilweise sind solche Vorstellungen heute noch vorhanden." Warum hat das Christentum denn nicht diese Vorstellungen, sondern die HexerInnen verfolgt? Der Autor schrieb mir dazu:
Gegner christlicher Inhalte bekämpfen zu wollen ist unchristlich auch dann, wenn es im Namen des Christentums geschieht. Das Christentum darf niemals die alleinige Macht im Staat ausüben, sonst werden Gegner auch physisch verfolgt.
Das heißt doch, daß er von seiner eigenen Religion glaubt, daß sie ihre Überzeugungen nicht leben würde, wenn sie die Gelegenheit bekommt, dagegen zu verstoßen.
Bei "Kassandra" findet man Texte zur Hexenverfolgung in verschiedenen Ländern, speziell in Spanien, zu Gottesurteil und anderen juristischen Fragen in diesem Zusammenhang und zur Inquisition. Beachtet auch Ihrer Linkliste! Wer sich hinter dem Pseudonym versteckt, wird aber auch im Impressum nicht klar. Darf frau das? Von Ihrer Begründung
Lange hab ich mich geärgert, viel war vom Internet die Rede, welche tollen Infos ich da finden könnte. Irgendwann war ich nur noch frustriert, die meisten Seiten waren nur Linksammlungen zu Seiten, die wieder Linksammlungen enthielten, die dann auf Ankündigungen, Buchbesprechungen und ähnliches verwiesen. Richtige Inhalte sind selten, die meisten Homepages reine Selbstdarstellungsseiten, nett anzuschauen aber inhaltlich nicht das, was ich suchte.
fühle ich mich getroffen. Übrigens nennt DIETMAR NIX bei den schon gelobten Verweisen den wahren Namen der Autorin: ANABELL HINKE. Das paßt zur landläufigen Vorstellung von Hexen.
In Eschwege fand 1657 ein Hexenprozess gegen die 40jährige CATHARINA HOCHAPFEL und ihre 65jährigen Mutter MARTHA statt. Die Werra-Rundschau berichtet am 1.11.1997 über URSULA VAUPELs Buch über diesen Prozeß:
Die Prozesse, die sich über sieben Monate hinzogen, wurden damals in zwei Bänden von hundertdreißig Akten festgehalten, die im Hessischen Staatsarchiv in Marburg liegen. Sie bestehen aus Protokollen von Verhören, Zeugenbefragungen, aus Berichten des Eschweger Gerichts an den Landgrafen beziehungsweise seinen Juristen und aus deren Befehlen, aus Anklage, Verteidigungs- und Bittschriften, aus Gutachten der Marburger und Gießener Universitäten, dem Endurteil und aus den amtlichen Darstellungen der letzten Lebenstage der verurteilten Frauen, die ein hoher Beamter des Landgrafen für diesen verfaßt hatte.
LISA KETTER und FRANZ WEGENER haben in Gladbeck das Schicksal zweier Verfolgter erforscht: ELSA LINDEMANN und RÖTTGER SCHNIERUNG.
Der touristisch bedeutendste Hexenwahn Nordamerikas tobte sich 1692 in Essex County aus, wo das Salem Witch Museum ausführliche Informationen über die "Salem witch trials" ins Netz gestellt hat. Eine Tour führt den Besucher über 11 Orte zu etwa 40 Stationen: Danvers, Peabody, Salem, Beverly, Wenham, Marblehead, North Andover, Haverhill, Amesbury, Salisbury und Boston. Hunderte Menschen wurden aufgrund primitiver Anschuldigungen angeklagt. Selbst eine erfolgreiche Heilbehandlung konnte schon den Verdacht der Hexerei begründen. Das erste Urteil fiel am 2. Juni gegen BRIDGET BISHOP. Mit ihrer Hinrichtung am 10. Juni begann ein Sommer der Exekutionen. Immerhin konnten einige Verurteilte fliehen. Über die Prozesse findet ihr einiges in der Sammlung berühmter amerikanischer Prozesse von Professor DOUG LINDNER. |
http://www.salemwitchmuseum.com/images/roger.jpg |
Auch die Universität von Virginia hat in einem Projekt zum Hexenwahn in Salem (Witchcraft in Salem Village, now Danvers, Massachusetts) verschiedene Quellen und Landkarten versammelt. Die Abbildung zeigt "The Trial of George Jacobs, August 5, 1692." Die "Early America Review" behandelt in einem ausführlichen Artikel The Carey Document: "Anhand der Untersuchung des Carey-Prozesses werden ereignisgeschichtliche Zusammenhänge und historische Fakten der kolonialen Verfolgung geschildert. Die spannenden Recherchen enthüllen, daß jenes angebliche Prozeßaktenstück in manchen Aspekten fragwürdig ist und als eine Fälschung anzusehen ist." (NIX) |
http://etext.virginia.edu/salem/witchcraft/texts/salemcourt.jpg |
Übrigens fand in der Nacht zum 1. Mai 1916 die Umstellung auf Sommerzeit statt. Mir fällt nicht nur auf, daß die Sommerzeit damals kürzer bemessen wurde, sondern auch die Umstellung um Mitternacht war statt wie heute um 2 Uhr. Die Abbildung entnahm ich Neubrandenburg im 1. Weltkrieg |
ERNEST BORNEMAN |
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Um noch einmal auf die Frauenbewegung zurückzukommen. Ihr Standardwerk wollte er schreiben. Vor allem dafür trug er seine Bibliothek zusammen. Als er nach jahrzehntelanger Arbeit "Das Patriarchat" vorlegte, wurde es ERNEST BORNEMAN nicht gedankt. Immerhin habe ich noch einen Text von MARGARETE MAURER gefunden, die ihm zustimmt (s.u.)
Selbstmord, das wäre das Letzte, was ich machen würde (, wenn ich es bringe.) :-) Bei ihm war es das Letzte und jetzt erinnert nicht mehr viel an ihn, aber immerhin erinnerte am 12.April das WDR-Kulturmagazin Scala, das nicht in jeder Folge mit Kultur nervt, sondern manchmal auch gute Beiträge bringt, an den Sexualwissenschaftler, der 85 Jahre alt geworden wäre. Ich kannte ihn schon jahrelang aus Rundfunk und Fernsehen und habe ihn 1990 auch bei einer Lesung in Aachen erlebt. Danach gab er mir ein Autogramm in ein auf dem Flohmarkt erworbenes Buch:
Meine älteste Erinnerung an ERNEST BORNEMAN ist eine Fernsehdiskussion Anfang der 80er Jahre: Die im Publikum versteckte HELGA GOETZE zog sich plötzlich aus damals ein Skandal) und beklagte, daß alte Frauen nicht so geachtet werden wie alte Bäume, bei denen ja auch niemand über die runzelige Rinde meckere. ELISABETH MOTSCHMANN war entsetzt. Der ebenfalls anwesende BORNEMAN kam darauf zu sprechen und enthüllte, daß er während des Vorfalls Frau MOTSCHMANN beobachtet hatte und analysierte ihr Verhalten. Frau MOTSCHMANN und Herr BORNEMAN trafen auch gelegentlich bei CARMEN THOMAS in "Hallo Ü-Wagen" im WDR-Hörfunk aufeinander. Es war immer ein Erlebnis. Zu den genannten Personen gleich mehr.
(Früher erzählten Senioren von der Schlacht um Stalingrad, dann von Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg und heute von dem, was sie mal in Rundfunk und Fernsehen konsumiert haben. Welch ein Abstieg!)
HELGA GOETZE wurde in Zitty als
heimliche Prominente Berlins vorgestellt: HELGA hat mit 20 Jahren geheiratet, sieben Kinder geboren, 25 Jahre lang war sie Mustergattin und total unbefriedigt. Dann, im Alter von 47, lernt sie den Italiener GIOVANNI und mit ihm die körperliche Lust kennen. HELGA bricht aus: Zwei Jahre lang sucht sie mit dem Einverständnis ihres Mannes über Anzeigen sexuelle Kontakte. Ihr Auftritt 1973 in einer Talkshow zu diesem Thema wird der Skandal des Jahres und kostet ihren Gatten den Job bei der Deutschen Bank. Jetzt ist sie keine brave deutsche Hausfrau mehr, sondern primäre Tabubrecherin und als solche tritt sie in die Öffentlichkeit, hat Fernsehauftritte und eine Rolle in ROSA VON PRAUNHEIMs Film Rote Liebe. Von ihrem Mann, der inzwischen verstorben ist, trennte sich HELGA 1974. Seitdem hat sie Liebhaber... Mir ist sie auch mal in Berlin begegnet, allerdings nicht wie Zitty behauptet an der Gedächtniskirche, sondern in der Hardenbergstraße. Sie trat auch beim Frauenperspektiven-Festival '99 in Karlsruhe auf. Die Junge Freiheit erwähnt sie in einer Glosse über die TAZ. Die BZ stellt sie als "Liebes-Botschafterin" vor |
http://zitty.de/99/20/images/promihelga_small.jpg |
Die CDU-Politikerin (in Bremen) und Publizistin ELISABETH MOTSCHMANN trat auch schon bei Veranstaltungen des Vereins für Psychologische Menschenkenntnis auf. Bei der Internationalen Vereinigung Christlicher Geschäftsleute scheint sie auch aktiv zu sein, weil Suchmaschinen veraltete Links zur Homepage dieses Gruppe nennen. Ihr Mann (vermute ich) KLAUS MOTSCHMANN agiert ebenfalls am rechten Rand des demokratischen Spektrums: Halle. Zu seinem »27. Bildungspolitischen Forum« lud der rechtskonservative »Bund Freiheit der Wissenschaft« (BFdW) am 24. Oktober in Halle ein. Zu der Veranstaltung unter dem Motto »30 Jahre 68er Bewegung - Bilanz und Folgen« hatte der BFdW u.a. den Aktivisten der am rechten Rand der Evang. Kirche angesiedelten »Evangelischen Notgemeinschaft«, Prof. Dr. KLAUS MOTSCHMANN (Thema: »Die Rolle der Kirchen in der 68er Bewegung«), die Allensbacher Demoskopin und ehemalige Redakteurin des Nazi-Blattes »Das Reich«, Prof. Dr. ELISABETH NOELLE-NEUMANN (»Die 68er Bewegung und ihre Auswirkungen aus demoskopischer und persönlicher Sicht«), Prof. Dr. WOLFGANG SCHILLER von der Uni Konstanz (»Sprache und Inhalt studentischer Flugblätter ab 1967«), 1996 Gastredner beim Parteitag des »Bund Freier Bürger« und die ehemalige CDU-Ministerin Dr. HANNA-RENATE LAURIEN (»Menschenbild, Erziehung und Bildung in der Auseinandersetzung«) eingeladen. hma |
http://www.bremen.de/info/buergerschaft/fotos/10086.gif |
Doch nun wieder zu BORNEMAN.
OSWALD KOLLE sprach im erwähnten Scala-Beitrag von "Bilanzselbstmord" (m.E. etwas, was die Vergangenheit auswertet) und vermutete dann, BORNEMAN habe wohl nichts mehr von der Zukunft erwartet, insbesondere keinen Sex mit Frauen. (Was war denn nun die Ursache, Vergangenheit oder Zukunft?). Weiter berichtete er von Besuchen bei BORNEMAN, dessen Ehefrau EVA habe ihm gesagt, er solle ERNEST nicht alles glauben. Es sei außerdem schwer gewesen, nicht dessen Feind zu werden.
Dafür gibt es viele Beispiele. Insbesondere hat BORNEMAN es sich mit dem SIGUSCH-Kreis verdorben, weil er in der "Neuen Revue" Leserbriefe beantwortete oder seinen Namen dafür hergab. Er rechtfertigte das mit Forschungsinteressen. Da muß ich an den öfters erwähnten CHRISTOPH denken, der mich kürzlich besuchte, um im Internet zu surfen. Ich mußte ihm noch die Seite des Europäischen Rail-Servers Mercurio raussuchen. Als ich später mal nach ihm sah, schoß er Moorhühner (deren URL er ohne Hilfe gefunden hatte) online ab. Er begründete das damit, daß seine Kollegen viel darüber sprächen.
Im pro familia magazin 1/87 (die Seiten habe ich eingescannt) griff SIGUSCH BORNEMAN an:
Der Ratschläger:
Sexologie als Phrase
S. 12-16
Meine Illusionen sind dahin, seitdem er als "Sexualberater" und "Sexualmediziner" von eigenen Gnaden Woche für Woche in aller Öffentlichkeit Menschen in Angst und Not abfertigt. "Bitte erteilen Sie mir einen Ratschlag!" schreiben die Leser, und BORNEMAN teilt tatsächlich Schläge aus...
Anfang der 80er Jahre suchte der reaktionäre Heinrich Bauer Verlag einen Experten, der "auf ihre intimen Fragen" antwortet. Keiner schien geeigneter als BORNEMAN: "Seit 50 Jahren lebt er mit seiner Frau EVA zusammen, die er 1943 auch geheiratet hat. Und das ist mehr als ungewöhnlich für einen Sexualwissenschaftler. Denn viele seiner Kollegen sind zwar in der Lage, andere Leute bei Ehe- und Sexualproblemen zu beraten, ihr eigenes Liebesleben aber ist oftmals gestört." Bei BORNEMAN liegen die Qualifikationen andersherum...
Wer ein Lehrstück für die denkbar schlechteste Lebensberatung sucht, wer schwarz auf weiß sehen will, wie zynisch gegenaufklärerische Sexologie ist, der lese BORNEMANs Killerphrasen.
In seiner Antwort
"Was will SIGUSCH eigentlich?"
pro familia magazin 2/87
S. 53 ff
reagiert BORNEMAN nicht ungeschickt. SIGUSCH hatte BORNEMANs Ratschlag, sich an eine sexualwissenschaftliche Universitätsabteilung in Hamburg oder Frankfurt zu wenden kritisiert. Da ist die Frage berechtigt, wie er es ihm recht machen könne: selbst beraten sei falsch, an seinen Kritiker zu verweisen auch.
Im Gegensatz zu SIGUSCH, der mich seit Jahren mit stetig wechselnden Vorwürfen verfolgt, habe ich ihm deshalb stets nur eines vorgeworfen: daß er zu viel redet und zu wenig tut. Daß er ständig über andere herzieht, aber selbst nichts leistet, was dieses Vorwürfe rechtfertigen könnte. Selbst als wir noch Freunde waren und er gern seinen Urlaub bei mir in Österreich verbracht hat, hatte ich ihn schon mehrmals gefragt, wieso er als Inhaber des einzigen Lehrstuhls für Sexualwissenschaft in der Bundesrepublik so wenig Zeit für seine Patienten aufbringt - und so viel für Kritik an anderen...
Er geifert gegen die Zeitschrift, die mir die Möglichkeit geboten hat, in einem Monat mehr über die sexuellen Probleme der Bundesbürger zu erfahren, als SIGUSCH in einem Jahr von seinen Patienten lernen kann. Er ... moniert eine Anzahl von Überschriften, die auch mir nicht gefallen: "Heiße Sexspiele in der Schule", "Woran eine Frau erkennt, daß ihr Mann fremdgeht" u.s.w... Was mich daran verwundert, ist, daß er diese Beiträge für "Wissenschaft" hält und mir dafür die Verantwortung zuschiebt...
Was mich ebenfalls verwundert ist, daß er die folgenden Titel nicht beanstandet: ... "Erotische Spiele im Swimmingpool", ... "Heiße Nächte als Callgirl"... Wieso hört SIGUSCHs Sensibilität hier auf? Weil diese Beiträge von SIGUSCHs Freund und Gefährten HELMUT KENTLER verfaßt worden sind, den SIGUSCH bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit als integren, weisen, fortschrittlichen Wissenschaftler anpreist. (Umgekehrt läßt auch KENTLER keine Gelegenheit aus, SIGUSCH überall wie saures Bier anzupreisen: eine gegenseitig gut geölte Publicity-Maschine).
Darin hatte KOLLE offenbar recht, daß es schwer war, nicht BORNEMANs Feind zu werden. Auf KENTLER einzuschlagen, finde ich jedenfalls nicht angebracht. Von dem bekam ich übrigens auch 1990 ein Autogramm, das darauf anspielt, daß ich auch ihm ein "altes", aber diesmal nicht als gebraucht gekauft zu erkennendes Buch (Auflage von 1979) vorlegte:
Die LeserInnen ergriffen überwiegend für BORNEMAN Partei, Dr. KARLA ETSCHENBERG schrieb allerdings:
Zwei der bekanntesten Vertreter der Sexualwissenschaft werden hier der Lächerlichkeit preisgegeben - der eine durch das, was über ihn geschrieben wird, der andere durch die Art, wie er über den anderen schreibt.
Im Nachhinein am interessantesten ist die Reaktion von Dr. med SIGRID STANDOW, Münster:
Wenn Herr Prof. SIGUSCH es obendrein als besonders anstößig beschreibt, daß der Kollege BORNEMAN noch immer in ungeschiedener Ehe mit einer Frau lebt, die er im 18. Lebensjahr kennengelernt hat, dann frage ich mich, ob bei dem Kollegen SIGUSCH nicht nur ein paar Schrauben locker sind.
1995 kam raus, daß bei ihr ein paar Schrauben locker waren. Man hatte ihm damals zum 80. Geburtstag noch eine Festschrift gewidmet. Wenige Wochen später brachte er sich um. Er schrieb schon 1968 im Vorwort zu Lexikon der Liebe (List Verlag München):
Die Wurzeln dieses Lexikons liegen in den dreißiger Jahren. Ich studierte damals in Berlin bei ERICH VON HORNBOSTEL, der zwar in erster Linie vergleichende Musikwissenschaften betrieb, dessen Herz aber für die Anthropologie schlug. Sprach er von afrikanischer Musik oder erklärte er die Einwirkungen spanischer und afrikanischer Elemente auf die kubanische Musik, ging es ihm darum, die Zusammenhänge...
Ich kann den Wendepunkt meines Lebens, jenen Augenblick, da sich mein Interesse von der Anthropologie dem zuwandte, was man heute Sexualwissenschaft nennt, auf den Tag festlegen. Es war der 10. Oktober 1940, und es geschah in einem kanadischen Internierungslager, daß ich auf jenes zerknitterte Exemplar des Journal of Criminal Psychopathology stieß, in dem RÓHEIM die Träume einer afrikanischen Prostituierten zu analysieren versucht hatte...
Danach versuchte ich alles von RÓHEIM zu lesen, was damals von noch erreichbar war. (Es ist einer der Skandale des deutschen Verlagswesens, daß nahezu alles von Wert, was die Väter der Psychoanalyse - FREUD und JUNG allein ausgenommen - verfaßt haben, heute vergriffen ist und in absehbarer Zeit offenbar auch nicht mehr aufgelegt werden wird...
Aber daß ich Deutschland mit 18 Jahren verlassen hatte und einen Teil meiner Pubertät in Deutschland, den anderen in England verlebt hatte, daß die sexuell formativen Phasen meines Lebens sich dann nicht nur in verschiedenen Ländern, sondern in verschiedenen Erdteilen abgespielt hatten und daß die sexuellen Erfahrungen meines Mannesalters nun wiederum Vergleiche zwischen der sexuellen Mentalität verschiedener Länder zuließen, dies alles zwang mich auch außerhalb meines akademischen Lebens zu dem gleichen Schluß, den meine Arbeit mir bereits nahegelegt hatte: Daß es im Sexualleben des Menschen viel weniger absolute Werte gibt, als die Pioniere der Sexualwissenschaft angenommen hatten, und daß die Wirkung des Elternhauses, die FREUD mit Recht als den Schlüsselfaktor des menschlichen Lebens betrachtet hatte, in höherem Maße, als er glaubte, von der Kultur bedingt ist, zu der die Eltern gehören...
Jedes sexualwissenschaftliches Werk von Format ist ein Angriff auf die patriarchalische Gesellschaft - auf die bürgerliche sowohl wie auf die der heutigen Oststaaten, die sich kommunistisch nennen. Der Autor eines Sexuallexikons ist deshalb das lebende Armutszeugnis einer Zivilisation, die ihn benötigt...
"... Jede Geschichte einer monogamen Liebe endet mit dem Tod, und der Mann, der monogam ist, mag zwar oft glücklich leben, aber er stirbt am einsamsten. Im Tode gibt es keinen einsameren Menschen als den, der viele Jahre mit einer guten Frau gelebt hat und sie dann überlebt. Wenn zwei Menschen einander lieben, kann es kein happy end geben." HEMINGWAY vollzog im Selbstmord den Ritus, den seine Erkenntnis ihm vorgeschrieben hatte. Wie viele andere, die an die Liebe glauben, haben den gleichen Mut zur gleichen Konsequenz?
BORNEMAN hatte ihn, was ich bewundere, mindestens Unverständnis bringe ich aber dem Anlaß entgegen. Er tötete sich, nachdem ihn aus der Kölner Wohnung seiner Partnerin merkwürdige Anrufe erreichten, über die er berichtete:
Mitte März wurde ich um drei Uhr morgens aus dem Schlaf gestört mit einer betrunkenen Männerstimme im Hintergrund und einer weinenden Frauenstimme. Der Anrufer: "Das ist doch alles gelogen in deinen Büchern. [...] Warum sagst du nix? Das mag die SIGI nicht. Immer, wenn sie von dir zurückkommt, ist sie 1000 Jahre älter. Ich hasse dich!"
Das also war der Mann, mit dem offenbar meine Liebste, mir der ich seit neun Jahren, wie ich dachte, in eriner relativ monogamen Beziehung lebe, mit dem sie seit einiger Zeit schläft. Aber nicht nur mit ihm schläft, sondern sich auch von ihm schlagen läßt. Lustvoll.
Das war SIGRID also weinend am Telefon. Sie sagte: "Er hat mich gezwungen, Deine Nummer zu wählen. Ich blute, alles schmerzt mir." Und ich hörte, wie er sie weiterschlug. Ich habe dann die Polizei in Köln angerufen.
Das war ja noch vernünftig. So wäre auch vernünftig gewesen, zu denken, die Tussi - die oben erwähnte SIGRID STANDOW - spinne, ihr keine Träne nachzuweinen und ihrem Macker notfalls Anrufe zivilrechtlich untersagen zu lassen. Hat er aber nicht gemacht. Das Verhältnis empfand er wohl als Hörigkeit.
Expreß 8.6.1995, in dem Frau STANDOW übrigens 42 war, während sie für die BILD-Zeitung erst 38 Jahre alt war.
Im WWW findet man kaum Dokumente zu BORNEMAN, er taucht in einigen Literaturverzeichnissen auf (z.B. bei Rundfunksendungen über Eifersucht) und am Rande auf bei den einigen wenigen Texten, die ich nun nenne:
Die wahrscheinlich umfangreichste Auseinandersetzung mit BORNEMAN im Internet findet man leider in den Wilhelm-Reich-Blättern:
Über ERNEST BORNEMAN
von BERND A. LASKA
Wilhelm-Reich-Blätter, Heft 3,4/79, S. 74-86
Der Autor geht mit BORNEMAN (wohl verdient) kritisch um. Diese Distanz würde ich mir auch gegenüber REICH wünschen.
ERNEST BORNEMAN wurde 1915 in Berlin geboren. 1933 musste er nach England emigrieren, später ging er nach Canada und in die USA. Er hat dort studiert, gearbeitet, war interniert, hat einige Jahre ethnologische Feldforschungen betrieben, Filme gedreht u.v.a.m. Dem nicht genug, war er auch als Autor sehr fleissig: Acht Bücher und mehr als 1000 (i.W.: eintausend) Beiträge für wissenschaftliche Zeitschriften hat er in den insgesamt 27 Jahren im englischsprachigen Ausland geschrieben (l: Bd.1, Vorbem.). Nebenbei teilt er uns noch mit, dass er es gewesen sei, der seinerzeit als Journalist in England den Begriff "beat music" geprägt habe, nach dem sich dann die Beatles ihren Namen gegeben haben.
1960 kam BORNEMAN zurück nach Deutschland (er schreibt, man, ein Professor, habe ihn geholt) und hat auch hier seitdem schon viel zu Papier gebracht. Die Frucht 10-jähriger Fleissarbeit ist sein Werk über den "obszönen Wortschatz der Deutschen" in zwei Bänden (1). Weitere Werke sind ein mehrbändiges "Lexikon der Liebe", mehrere Bände "Studien zur Befreiung des Kindes" und "Studien zur Befreiung der Frau" sowie verschiedene andere Bücher, meist zum Thema Sexualität oder eng damit zusammenhängend. Sein Hauptwerk, die Frucht der "gesamten Freizeit von 40 Jahren" jedoch ist "Das Patriarchat" (2). Es trägt folgende Widmung: "Das Patriarchat ist den Frauen gewidmet. Es soll der Frauenbewegung dienen, wie Das Kapital der Arbeiterbewegung gedient hat: als Analyse der Vergangenheit, als Schlüssel zur Zukunft, als Waffe im täglichen Kampf der Gegenwart." Die Mühen BORNEMANs wurden vor ein paar Jahren mit der Verleihung des Professorentitels belohnt. Seither hat er den Lehrstuhl für Ethnopsychoanalyse (wenn ich nicht irre) an der Universität Salzburg. Eine Berufung an eine andere Universität käme, so las ich neulich in einer Zeitung, nicht mehr in Frage: er hat eine umzugsresistente Privatbibliothek von mehr als 20000 Bänden.
LASKAs Kritik an BORNEMAN stützt sich hauptsächlich auf eine wenig bekannte, aber in diesem Jahr wahrscheinlich lesenswerte Veröffentlichung über "Sex nach dem Jahre 2000". Ich habe von den vielen Zitaten, die LASKA bringt, die absurdesten kopiert:
(5:255): "Die Pantoffelschnecke beginnt ihr Leben als geschlechtsloses Wesen, entwickelt sich dann in ein Männchen, hierauf in ein bisexuelles Wesen mit weiblichen und männlichen Genitalien und schliesslich in ein Weibchen. ... Wenn wir das nachmachen könnten, würden wir erstens unsere sexuellen Erfahrungen beachtlich erweitern, zweitens grössere Toleranz für das andere Geschlecht entwickeln, und wir könnten uns schliesslich fortpflanzen, ohne einen Partner zu benötigen. Wenn wir im nächsten Krieg zu viele Männer an der Front oder zu viele Frauen durch Bombardierung der Städte verlieren, könnte das überlebende Geschlecht sich selbständig fortpflanzen."
(5:257): hier gerät BORNEMAN ins Schwärmen über die Möglichkeit des sog. Klonens: "Für spezialisierte Zwecke liessen sich von besonders begabten Individuen spezialisierte Kopien ziehen: Einsteins zum Rechnen, Rembrandts zum Malen, Muhammad Alis zum Boxen und natürlich MARILYN MONROEs und CASANOVAs zum Koitieren."
(5:258): nachdem er sich begeistert über die Methoden nichtsexueller Fortpflanzung (Motto des "Frauenbefreiers" dazu: Mit jedem Fortschritt der menschlichen Entwicklung wird die Frau wichtiger und der Mann unwichtiger) geäussert hat, beschreibt er die vierte Methode, die "Züchtung intelligenter Wesen durch Verpflanzung menschlicher Gehirne in andere Primaten. ... Ein solches Wesen wäre seinen Artgenossen gegenüber zweifellos im Vorteil... (es könnte)...im Krieg oder in radioaktiv verseuchten Kernkraftwerken eingesetzt werden."
(5:259): Mit der Entwicklung der Gen-Chirurgie schliesslich, die dem Menschen beliebige Eigenschaften verleihen können werde, "emanzipiert sich unser Geschlechtsleben von der Kategorie des Zufalls und beginnt sich in die der Planung einzuordnen." Und die berühmten Kyborgs, sie "lassen sich aber auch für ganz andere Zwecke bauen, zum Beispiel als leistungsfähigere Partner beim Geschlechtsverkehr. Ein Mann mit vibratorgetriebenem Penis wäre zweifellos ein Geschenk Gottes für zahllose Frauen."
(5:262): "...wird uns auch die weitaus kühnere Vorstellung nicht mehr überraschen, dass wir uns die Rückerinnerungen anderer Menschen ... biochemisch injizieren könnten. Durch orale oder intravenöse Einnahme gewisser Proteinmoleküle, in denen der Körper sexuelle Erfahrungen und Erinnerungen speichert, könnten wir uns dann das mühselige Koitieren sparen... So könnten wir z.B. die gesamten Liebesabenteuer CASANOVAs nachvollziehen, wenn wir ihm damals ein wenig Protein abgezapft und ... aufbewahrt hätten."
(5:274): "Die Befreiung der Frau kann nur durch die Befreiung von der Gebärpflicht erfolgen."
(5:274): "Wenn unsere Deutung der Zukunft als einer enthierarchisierten, weitgehend dezentralisierten Gesellschaftsordnung korrekt ist, dann müssen wir... die Diktatur der Genitalien durch eine freiheitliche, demokratische Ordnung der Körperregionen und der psychischen Zonen ersetzen."
(5:278): "In entfernter Zukunft ist es denkbar, dass sich auch die Genital- und Fortpflanzungsorgane angleichen oder sogar in doppelter Form bei jedem Menschen vorhanden sein werden. Das würde bedeuten: JEDER MENSCH KANN FÜR SICH SELBST ENTSCHEIDEN, OB ER ALS FRAU ODER MANN KOITIEREN WILL, OB ER ZEUGEN ODER GEBÄREN WILL. [...] Erst wenn die Frau ihre Kräfte nicht mehr als Gebärmaschine zu verschleissen braucht, kann ihre Mütterlichkeit sozialen Charakter annehmen. Erst dann kann die Gesellschaftsordnung nach dem Vorbild der Mutter aufgebaut werden, die ihr Kind nach seinen Bedürfnissen und nicht nach seinen Leistungen versorgt. Wer es als 'unnatürlich' empfindet, dass der Mensch nur so viel leisten sollte, wie ihm Spass macht, und doch so viel zu essen bekommen sollte, wie er braucht, der sollte logischerweise auch jede Mutter als 'widernatürlich' ablehnen, weil sie ihr Kind stillt, wenn es Hunger hat, statt von ihm erst einmal 'Leistungen' zu verlangen."
Literatur:
(1) ERNEST BORNEMAN: Sex im Volksmund. 2 Bände, Reinbek 1971, 1974
(2) ERNEST BORNEMAN: Das Patriarchat. Frankfurt/M 1975
(3) ERNEST BORNEMAN: Die Urszene. Frankfurt/M 1977
(4) ERNEST BORNEMAN: Psychoanalyse des Geldes. Frankfurt 1973; hier zitiert nach: edition Suhrkamp, Band 902, Frankfurt 1977
(5) ERNEST BORNEMAN: Sex nach dem Jahre 2000 -- Qual oder reine Lust? In: Die besten Storys aus PLAYBOY. Sonderausgabe Band 5, 1978
Als Realpolitiker taugte BORNEMAN anscheinend nicht, und gemessen an den genannten Zitaten sind die Anhänger WILHELM REICHs schon nicht mehr so skuril. Einer dieser Anhänger ist JO TRETTIN. Auf seiner Homepage berichtet er über APO Studentenbewegung 1969 - die Kölner Kommune Horla und die Kinderzeitung
1969 waren bereits viele Kinderläden in den Wedding, dem benachbarten Stadtteil von Moabit gezogen. Andere Sozialprojekte folgten in den 70er und 80er Jahren, obwohl der Stadtteil kulturell im Gegensatz zu Kreuzberg und Schöneberg unattraktiv war, aber er bot die Ruhe und die Räumlichkeiten, die manche Gruppen bevorzugten. 1977 bildeten sich aus den vielen vielen Kommuneversuchen meinerseits und meiner Freunde aus der Kölner-, Münchener - und Berliner Kommunezeit die Gruppe Müllerstrasse, die neben dem alten Rathaus in den 3 Häusern der Nr. 145 12 Wohnungen und einen großen Produktionskeller bezog (Haus links im Bild). Dort versuchten wir unser Leben nach der Ausrichtung der Sexualökonomie zugestalten. Anfang der 30er Jahre hatte auf der gleichen Seite der Straße, nur 2 Häuser weiter REICHs Sex-Pol-Beratungsstelle Nord unter der Leitung von ERNEST BORNEMAN ihren Sitz (Haus rechts im Bild). Die Gruppe Müllerstraße hielt insgesamt 15 Jahre, bis sie dem Trend des gesellschaftlichen Individualismus zum Opfer fiel. Über 10 Jahre produzierten wir dort den Orgonakkumulator, sowie Filme zur wissenschaftlichen Orgonomie. Reste der Gruppe zogen nach Köln und gründeten dort das Orgoninstitut IOO. | http://ourworld.compuserve.com/Homepages/Jo_Trettin/M11.jpg |
Zustimmend erwähnt wird BORNEMAN in
Es gibt nämlich einige Hinweise darauf, daß an den ersten Entdeckungen und Erfindungen der Menschengeschichte, die allgemein als wichtige kulturelle Fortschritte bezeichnet werden, Frauen einen entscheidenden Anteil hatten, wenn, sie nicht sogar deren alleinige Schöpferinnen waren. Dies z.B. bei der Entwicklung der Töpferkunst, des Hausbaus, der Landwirtschaft und der Textilproduktion. Zumindest ERNEST BORNEMAN stellt in seinem Buch "Das Patriarchat" diese These auf, und er führt dafür neuere Erkenntnisse der Archäologie, Geschichtswissenschaft und Anthropologie an. So geht man heute davon aus, daß die Stämme und Sippen der neueren Steinzeit (7000 bis 6000 Jahre vor Christus), die die Pflanzenkultivierung entwickelten, mutterrechtlich organisiert waren, daß sie Gemeinschaftsbesitz hatten, daß die Geschlechter im Prinzip gleichberechtigt waren, und daß sie keine Kriege führten, weshalb sie auch keine Befestigungsanlagen um ihre Siedlungen bauten.
GERD J. HOLTZMEYERschrieb "Zum Tode von ERNEST BORNEMAN" im pro familia magazin 4/95, S. 22 f:
Daß ERNEST BORNEMAN in seinen Thesen zur Sexualität undogmatisch war und sie auch wechselte, unterschied ihn nicht nur vom Papst, sondern auch von einigen der führenden deutschen Sexualwissenschaftler, die sich gelegentlich für unfehlbar halten. BORNEMAN brachte Irritationen in die Szene; unvergessen bleibt sein heftiger Streit mit VOLKMAR SIGUSCH 1987 im pro familia magazin, der fast ein gerichtliches Nachspiel hatte.
BORNEMAN war sehr empfindlich, was gelegentlich im Widerspruch stand zu seiner Angriffslust. Man muß seine Biografie kennen, um zu verstehen, warum BORNEMAN so war, wie er war:
Als Jugendlicher entschloß er sich während einer Auslandsreise, nicht mehr ins Nazi-Deutschland zurückzukehren, was ihm die Ausbürgerung einbrachte. Im Ausland verlebte er schwere Jahre, seine Rückkehr nach Deutschland (inzwischen mit britischem Paß und ohne das zweite "n" am Ende des Namens) begann mit einem Reinfall: ADENAUER in seiner Bauernschläue wollte den Sozialisten BORNEMAN das Staatsfernsehen mit aufbauen lassen, was bekanntlich scheiterte. Akademische Würden wurden ihm nicht in Deutschland zuteil, sondern in Österreich. Sein journalistisches Wirken in der Regenbogenpresse brachte ihm Naserümpfen von Sexualwissenschaftlern ein.
Natürlich war BORNEMAN eitel. Nicht ohne Stolz zeigte er mir einen Brief von GÜNTER GRASS, der in seinem "Der Butt" Ideen aus BORNEMANs "Das Patriarchat" aufgegriffen hat - vor allem jene These, daß die Herrschaft des Mannes begann, als ihm bewußt wurde, daß er zur Zeugung von Kindern erforderlich ist. Für BORNEMAN war das auch der Beginn des Kapitalismus. Sein Feminismus, den er stets betonte, machte ihm allerdings im Kampf mit den eigenen männlichen Hormonen zu schaffen.
Zum Schluß noch ein Nachruf aus der Titanic:
Darüwwä, wie mer sisch soll liebe,
hat er so mansch ein Buch geschriebe,
die Leut' zum Ficke angestiftet -
jetzt hat der ERNEST sish vägiftet.
Aus Liebeskummä - wie mer schreibt -
hat sisch de ERNI flugs entleibt.
Doch was er uns an Rat gegebe,
des werd' ihn lang noch üwwälebe:
"Punkt 1: Wie dick, des is net wischtisch,
ob lang, ob korz: Beides ist rischtisch.
Punkt 2: Im fröhlisch' Lottäbett
da gibt's kaa Perversione net,
fühlt mer sisch unnerum nur froh,
dann stimmt des mit der Libido!
Schluß mit de sexuelle Not!"
So sprach uns Erni und war dot.
Drum, Leut'! Macht eusch kaan Liebeskummä!
Schiebt liebä noch so mansche Nummä!
Legt sexuell eusch voll ins Zeusch:
De Ernest wäre stolz uff eusch!
Text: SIMONE BOROWIAK, Titanic
Hintergrundmusik: http://www.ja-direkt.de/Extra-dry/Maenner_sind_Schweine.mid