WWW-Tipp der Woche 1/2000

Liebe Netzgemeinde,

so viel hat der Jahreswechsel nicht bewirkt, KOHL und JELZIN sind noch auf freiem Fuß, mein Computer funktioniert auch noch, aber das Faxprogramm hat Probleme mit dem zeitversetzten Senden, weil es nur Jahreszahlen von 10 bis 99 kennt, und ACCESS 2.0 macht aus einen eingegebenen aktuellen Datum heute z.B. den 9.1.100. Aber dagegen gehe ich mit einer Ereignisprozedur BeforeUpdate vor:

Die Funktion Datum() arbeitet fehlerfrei. Also kein Grund, den Surftipp zur Geschichte zu verzögern. Wenn es diesmal doch etwas länger gedauert hat, dann, weil ich am Samstag in Amsterdam war. Der Wegstreckenzähler in meinem PKW zeigt jetzt auch 2000 (200058) vorne, aber nur noch ein paar Stunden  

Davon berichte ich nächste Woche mehr, heute nur das, was ich schon angefangen hatte.

Im niederländischen Rundfunk wurde Queens "Bohemien Rhapsody" zum Hit des Milleniums, eine etwas übertriebene Beurteilung. Die 2000 von den HörerInnen am häufigsten gewünschten Titel wurden eine Woche lang ununterbrochen gesendet.


http://www.omroep.nl/radio2/gfx/top2000bt.jpg

Mich überzeugte mehr die Wahl der "Niederländerin des Jahrhunderts", die auf ANNE FRANK fiel. Sie wurde zwar in Frankfurt am Main geboren, ihr berühmtes Tagebuch schrieb sie aber in niederländischer Sprache.


http://www.annefrank.nl/dui/dagboek/textdagboek/dbtextgraphics/titel.jpg


http://www.annefrank.nl/dui/dagboek/textdagboek/dbtextgraphics/dagboekopen.jpg


http://members.tripod.com/~xfileslcm/inclass.gif

Mehr darüber erfährt man im Anne-Frank-Haus, das ich schon vor Jahren besuchte und diesmal deshalb nicht.

Das Gebäude in der Prinsengracht 263 ist bei den Amsterdamer Monumenten, die ich in Surftipp 31/1999 vorstellte beschrieben.

Über die Aktivitäten informiert auch das Info-Zentrum für Rassimusforschung an der Uni Marburg und http://www.channels.nl/amsterdam/annefran.html.


http://www.bmz.amsterdam.nl/adam/pics/bmz/p263a.gif
Hinterhaus vor der Restaurierung

Auf den Seiten des Anne-Frank-Hauses wird auch über die Vorwürfe informiert, das Tagebuch sei gefälscht. In der Tat hat der die Shoa überlebende Vater OTTO FRANK das Tagebuch redigiert, aber ich bezweifle, daß er das Bild seiner Tochter für die Nachwelt so verfälscht hat wie ELISABETH FÖRSTER-NIETZSCHE es bei ihrem Bruder versuchte und möglicherweise BRIGITTE SEEBACHER bei WILLY BRANDT. Bei ihr müssen wir noch auf Forschungsergebnisse warten, bei OTTO FRANK ist es klar, seit das Rijksinstituut voor Oorlogsdocumentatie (Reichsinstitut für Kriegsdokumentation) eine quellenkritische Ausgabe vorgelegt hat. Auf den Seiten des Instituts erfährt man leider keine Details.

Das Tagebuch selbst habe ich online nicht gefunden. http://members.tripod.com/~annediary.html z.B. führt zum berühmten Fehler 404 (not found).

Durch eine neue Biografie und fünf noch gefundene Blätter ist ANNE FRANK in letzter Zeit erneut in die Schlagzeilen geraten. Die als Widerstandsblatt während der deutschen Besatzung entstandene Zeitung Het Parool hat den Text zuerst veröffentlicht, den ich im NRC Handelsblad vom 27.8.1998 gefunden habe. Die Veröffentlichung ist umstritten, da die Blätter aus dem Zusammenhang gerissen sind, andererseits nun aber mal von einer bedeutenden Person stammen und in ihrem Zusammenhang sicher interessant sind.

Sie schreibt, ihre Gedanken kreisten um die Ehe ihrer Eltern, die ihr stets als Vorbild hingestellt worden seien. Aber sie kritisiert, ihr Vater frage nicht immer nach dem Urteil seiner Frau, erzähle ihr nicht alles, weil sie zu übertrieben, kritisch, voreingenommen sei. Er sei nicht verliebt, küsse sie wie die Kinder (na ob sie davon alles gesehen hat?) und stelle sie nie als Vorbild hin:

Und dann versucht sie die andere Seite zu sehen, mit dem Ergebnis, daß sie kein Mitleid mit Ihrer Mutter haben kann, sie habe ihr nicht viel über sich erzählt, sie (ANNE) habe auch nie gefragt. Wenn sie (die Mutter) nur eine Eigenschaft einer begreifenden Mutter hätte, würde sie (ANNE) stets wieder versuchen, sich ihr zu nähern, aber diese gefühllose Natur, das spottende Wesen, das zu lieben, sei ihr mit jedem Tag mehr unmöglich. (Unmöglich kann man doch gar nicht steigern.)

Ihre Mutter EDITH HOLLÄNDER FRANK stammte aus einer Aachener Familie. Deren Grab habe ich mal bei einer Stadtrundfahrt besichtigt. Die Flucht in die Niederlande führte auch über Aachen.


http://www.annefrank.com/site/af_life/af_scrpbk/af_scrpbk03/girls.gif
ANNE and MARGOT posing for a photographer in Aachen, before their move to Amsterdam 

Ich kenne auch noch ein Foto, daß ANNE FRANK auf der Photowaage in der Komphausbadstraße in Aachen zeigt. Es ist auf der Titelseite des Katalogs "Die Welt der ANNE FRANK" abgedruckt.

Anne Franks Gewicht

Der Westberliner "Tagesspiegel" veröffentlichte am 29. August 1998 einen Bericht zu dieser Kontroverse   

Streit um Seiten aus Tagebuch der ANNE FRANK weitet sich aus

Zunächst behauptet das (von mir sehr geschätzte und abonnierte Blatt) "ANNE FRANK war offensichtlich dagegen, daß ihr später zu Weltruhm gelangtes privates Tagebuch jemals publik würde." relativiert das aber später:

Das bestätigt auch das Anne-Frank-Haus, auf dessen schon erwähnter Homepage berichtet wird, Anne Frank habe das bisherige Tagebuch redigiert und gleichzeitig weitere Notizen verfaßt, nachdem Sie von einem Aufruf der Exilregierung erfahren hatte, Tagebücher über die Besatzungzeit zu schreiben, um nach dem Krieg daraus eine Geschichte des Lebens unter der Besatzungsherrschaft zu machen.  

Den von den niederländischen Tageszeitungen veröffentlichte Text durfte MELISSA MÜLLER in ihrer kürzlich erschienenen ANNE-FRANK-Biografie nur zitieren.


http://www.amazon.de/de-covers/3/54/600/151/3546001516.m.gif

Auch darüber berichtet der Tagesspiegel:

Rückkehr in Geschichte
Unnötiger Wirbel um eine neue ANNE-FRANK-Biographie

PAUL STOOP, der Autor der Buchbesprechung, weist noch auf ein anderes Tagebuch hin, das ich bei Amazon nicht gefunden habe:

Auch in der WELT wurde die neue Biografie besprochen:

Wer verriet ANNE FRANK? (07. 09. 1998)
Auch MELISSA MÜLLERs Biographie löst keine Rätsel

Auch über das Tagebuch ANNE FRANKs fand ich drei hervorragende Berichte in der WELT:

Mit ANNE FRANK begann die Erinnerung (05. 06. 1999)
Jahrhundertbuch (Teil 11)

und

Ein junges Mädchen wie viele andere auch (23.10.1996)
Der Vater von ANNE FRANK zensierte ihr Tagebuch

Danach kürzte OTTO FRANK, der als einziges Familienmitglied überlebte und 1980 starb,  den Text des 1947 erstmals erschienenen Bestsellers um ein Drittel.

Allgemeiner ist der Beitrag

Nicht auf die Straße gegangen (23. 01. 1999)
Eine germanistische Untersuchung zum Thema Literatur und Holocaust

Mir fiel vor allem auf, daß das Tagebuch in der Bundesrepublik verfälscht publiziert wurde. Kann man die Eingriffe des Vaters noch begreifen, wenn auch mißbilligen, so finde ich keine Entschuldigung für die Verfälschungen bei der deutschen Fassung:

Aber so erging es in den fünfziger Jahren vielen Werken. Auch "Casablanca" wurde verfälscht. Statt um Nazis ging es in der BRD-Verleih-Fassung um Drogenhändler. Und WOLFGANG STAUDTEs Meisterwerk "Der Untertan" durfte als angebliche "DDR-Propaganda" lange nicht vorgeführt werden.

Und noch ein Bericht, allerdings nur über Streitigkeiten um das Erbe ANNE FRANKs:

Wem gehört ANNE FRANK? (15. 02. 1996)
Niederländer und Schweizer streiten heftig um die Namensrechte

Die "Best Links" zu ANNE FRANK bieten noch ein paar Hinweise, aber http://www.annefrank.com (angeblich "ANNE FRANK - Online The official ANNE FRANK website. A well organized compendium of information. Amazing and powerful") finde ich nicht so toll. Werbung für eine Wanderausstellung, eine Liste von Orten, wo er schon gezeigt wurde - aber über ANNE FRANK erfährt man bei http://www.annefrank.nl mehr.

Nicht zustimmen kann ich deshalb dem "ANNE FRANK Internet Guide", der Sternchen vergibt und dem erwähnten ANNE-FRANK-Center in den USA vier gibt. Da aber noch eine Fülle anderer URLs aufgezählt werden, ist diese Adresse auch als Start zu Erkundungen über ANNE FRANK geeignet. M.E. ist sie die umfangreichste Aufzählung von Hyperlinks zu ANNE FRANK, jedenfalls habe ich keine umfangreichere gefunden.

Mir gefiel gut NICOLE's ANNE FRANK page die auch ein Foto ANNE FRANKs in Aachen (meinem Wohnort) enthält. (Oben von anderer Quelle schon gezeigt) Die Onlinehilfen zum  "Tagebuch der ANNE FRANK" haben auch viel zu bieten (aber ich habe noch nicht alles gesehen).

"The Friends of ANNE FRANK in Utah and the Intermountain West Region" bieten Unterrichtsmaterial ("Teachers Workbook" genannt) zum Thema ANNE FRANK in der Welt 1929 - 1945

Ergänzung am 19.4.2000:

Bei hagalil online fand ich noch ein Interview mit ANNE FRANKs Schulfreundin HANNAH PICK-GOSLAR, die auch ein Buch mit ihren Erinnerungen geschrieben hat:

Außerdem berichtet man dort darüber, daß eine Schwedin von sich behauptet, die Reinkarnation ANNE FRANKs zu sein und dafür bei den Anthroposophen Unterstützung findet

Reaktionen auf diese Ergänzung behandle ich in Surftipp 35/2000.

Ergänzung am 13.6.2003:

Inzwischen wurde heftig diskutiert, wer ANNE FRANKs Familie verraten hat. Diese Diskussion wurde durch

Der Südwestfunk hob hervor:

OTTO FRANK habe während des Krieges Geschäfte mit den deutschen Besatzern gemacht. Er handelte in Amsterdam mit dem Geliermittel "Opecta" und soll dies auch an die deutsche Wehrmacht geliefert haben. Dadurch hatte er Kontakt mit TONNY AHLERS, der ein Einkaufsbüro für die Wehrmacht betrieb.

Das Nederlands Instituut voor Oorlogsdocumentatie (Niod) konnte jedoch den Verräter nicht überführen, wie es im April 2003 bekannt gab:

Einen Überblick über alle Verratstheorien gibt.Who Called the Police on August 4, 1944? Written by RUUD VAN DER ROL (Anne Frank House)

Weitere Links:

Nächste Woche informiere ich über die beiden Museen, die ich wirklich in Amsterdam besichtigte.  

Mit freundlichen Grüßen
Norbert Schnitzler

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