WDR - Fernsehen: Lokalzeit Aachen

Daß ich als vollkommen Gottloser eine Religionsgemeinschaft vor Kritik in Schutz nehme, ist sicher selten. Aber man muß eine Religion nicht mögen, um unberechtigte Vorwürfe gegen sie abzulehnen.

Als ich noch arbeitslos war, konnte ich mehr fernsehen und verfolgte sogar die Lokalzeit-Wiederholungen in der Nacht. Da der WDR seine regionalen Fenster so verlängert und die Anzahl erhöht hat, daß in den kleinen Gebieten nicht mehr genug passiert, um ein interessantes Programm zu ermöglichen, sind die Lokalzeiten die ersten Sendungen gewesen, die ich mir als Berufstätiger verkniffen habe. Speziell Aachen ist so langweilig, daß sich die hiesige Lokalzeit nicht lohnt, außer wenn mal einer der hervorragenden geschichtlichen Beiträge von Hans König gesendet wird (z.B. über die Eisenbahn im 19. Jahrhundert oder Napoleon in Aachen). Das weiß man aber nicht vorher.

Deshalb würde ich heute diesen Brief nicht mehr schreiben, bin aber froh, daß ich es damals machte.

Inzwischen scheint mir, daß der WDR US-amerikanische Sitten übernommen hat, denn über dortige Medien fand ich auch auf den WDR passende Zitate:

Zum Thema Katholische Kirche und Zeugen Jehovas empfehle ich noch Manfred Gebhard: Annotationen zu den Zeugen Jehovas de Ruiter und Co.


WDR-Regionalstudio Aachen
Gabriele Spitzer
Karmeliterstraße 1
52064 Aachen

18. November 1997

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Beiträge in kurz zurückliegenden Lokalzeit-Ausgaben

Sehr geehrte Frau Spitzer, sehr geehrte Damen und Herren,

einige Beiträge in der "Lokalzeit Regio Aachen" scheinen mir nicht gelungen.

Geschichtsvideo der Zeugen Jehovas

Soeben sah ich z.B. einen Beitrag über die Zeugen Jehovas. Einige Fakten, die ich dem Beitrag entnehme:

Mutmaßungen, die im Bericht geäußert wurden:

Der Beitrag verstößt m.E. gegen journalistische Grundsätze. Ich könnte Ihnen auf Anhieb fast alle Schulen nennen, wenn ich ein Telefonbuch zur Hilfe nähme. Die Zeugen Jehovas mögen eine skurrile Religionsgemeinschaft sein, so skurril, daß sie darauf nicht selbst kommen, sind sie wahrscheinlich nicht. Ihre Formulierung unterstellt etwas Konspiratives, wo es nur lächerlich wäre.

Der Videofilm soll die Verfolgung der Zeugen Jehovas im Dritten Reich behandeln. Wie er das macht, beschreiben sie nicht. Werden falsche Zahlen genannt? Wird im an den Schulen kursierenden Video sachlich berichtet oder mit religiösen Phrasen? Es ist doch ganz merkwürdig, daß Sie diesen Videofilm zwar als Aufhänger nehmen, aber die ganze Zeit über keine markante Stelle aus dem Film zeigen. Statt dessen schneiden sie Interviewschnipsel rein, in denen SchülerInnen sich distanzieren, aber die Urteile bleiben farblos.

Sie zeigen Experten, deren Qualifikation dürftig ist. Ein Religionslehrer mag ein Interesse daran haben, den Film vorzuführen, und ich erkenne an, daß seine SchülerInnen sich damit besser ein Bild vom Corpus Delicti machen können als die Fernsehzuschauer. Aber sein Urteil ist etwa so viel wert wie das eines Opel-Menschen über FERDINAND PIËCH und IGNATIO LOPEZ. Der Mann ist Partei, die Zeugen Jehovas sind seine Konkurrenz. Dann würde es journalistische Fairneß gebieten, einen Vertreter dieser Sekte zu befragen, das geschah aber nicht.

Prinzipiell dürfte der Film, über den ich nicht urteilen kann, eher in den Geschichtsunterricht gehören. Ich habe selbst Geschichte studiert und das Erste und Zweite Staatsexamen abgelegt (letzteres aber nur ausreichend), und weiß, daß man schon bei Quellen, mehr noch aber bei Darstellungen der Geschichte die dahinter stehenden Interessen kennen muß. Das wird im modernen Geschichtsunterricht selbstverständlich ständig berücksichtigt. Diese Kritikfähigkeit SchülerInnen zu vermitteln, ist in seinem Fachgebiet aber nicht die Praxis eines typischen Religionslehrers


SS-Ausbaupläne für die Wewelsburg (das kleine Dreieck im Zentrum)

Und zu den Fakten: Zeugen Jehovas wurden doch wirklich im Dritten Reich verfolgt. Ich habe am 30. Mai die Gedenkstätte in der Wewelsburg in Büren bei Paderborn besucht. Die Wewelsburg galt als Besonderheit wegen ihrer dreieckigen Form und hatte es der SS besonders angetan. Man plante dort eine riesige Kultstätte, in deren Zentrum die ursprüngliche Burg fast verloren wirkte. Dazu braucht man natürlich Arbeitskräfte, für die man das KZ Niederhagen mit bis zu 600 Häftlingen anlegte. Letztlich scheiterte der Plan wohl am Material, aber die Arbeitskräfte standen durch das KZ zu Verfügung.

Die Häftlinge "ersetzten" den Reichsarbeitsdienst, der zum Bau des Westwalls in die Eifel verlegt wurde. Zunächst waren hauptsächlich "Berufsverbrecher" (grüner Winkel) untergebracht, aber nach Ausbrüchen und vor allem, als wieder Gefaßte standrechtlich hingerichtet worden waren. Das hatte in der Bevölkerung Kritik gefunden, so daß man die Häftlinge durch "Bibelforscher" (violetter Winkel) ersetzte, die bekanntlich nicht ausbrachen. Auf mich als vollkommen gottlosen Menschen wirkte sehr befremdlich, wie die Sektenmitglieder sich die Wirklichkeit zurechtbogen: "Wenn ich sterbe, beginnt die Ewigkeit etwas früher."

Es soll nicht der Eindruck entstehen, die Bevölkerung habe Widerstand geleistet, aber manches ging den gläubigen Katholiken doch zu weit, z.B. diese Hinrichtungen. Antisemitismus kam besser an. Bei einem Maiumzug wurde ein Wagen mit Esel und Ziege gezeigt, Motto "Miesmacher und Meckerer nach Palästina".

An die Verfolgung der Zeugen Jehovas zu erinnern, die keinen Widerstand leisteten, scheint mir jedenfalls nicht falsch zu sein, genauso wenig wie es falsch ist, die zerstörerischen und persönlichkeitsverändernden Auswirkungen dieser Sekte darzustellen (was ich schon in einer Schulfernsehsendung gesehen habe). Aber alles zu seiner Zeit.

In der Nähe Ihres Studios befindet sich die Diözesanbibliothek. Wenn Sie dort nach Büchern über die Katholische Kirche im Dritten Reich suchen, finden Sie auch apologetische Darstellungen aus der frühen Nachkriegszeit, die für den Unterricht nicht geeignet sind. Kritischere Werke sind erst in den achtziger und neunziger Jahren entstanden. Übrigens hat auch der WDR in mehreren Sendungen, z.B. von LUTZ LEMHÖFER, die Geschichte der Katholischen und Evangelischen Kirche im Dritten Reich behandelt. Bloß: Was machen Religionslehrer daraus? Und wo sind die Berichte über katholische Religionslehrer, deren Unterricht zur Verdummung beiträgt? Ich will nicht behauptet, daß alle Religionslehrer Märchen erzählen, und der Theologe, den Sie als Gegenspieler zum Regiotalk über Esoterik eingeladen hatten, wirkte ja fast wie ein Hort der Vernunft unter vielen SpinnerInnen. Aber trotzdem halte ich solche parteilichen Experten für problematisch. Diese Problematik muß thematisiert werden.

Leider wirkte Ihr Bericht gut gemacht, auch das Interview wurde nicht schlecht geführt, da habe ich schon deutlich schlechteres gesehen. Die Mängel traten etwas verdeckt auf, so als ob ich diesen Brief zwar gut formatiere, aber Rechtschreibprüfung und Trennhilfe vergesse.

Regiotalk zur Messe "Frauen in Aachen"

Noch schlimmer als der Beitrag über die Zeugen Jehovas war aber die Regiotalk-Folge zur Frauenmesse im Eurogress. Seit Walter Erasmy und Martin Schmuck sich Anfang der achtziger Jahre bei einer Live-Sendung aus dem Eurogress blamierten, habe ich keine vergleichbar schlimme Sendung aus Aachen mehr gesehen1, bis Jochen Denso es nötig zu haben meinte, über alle Interviewpartnerinnen Witzchen machen zu müssen.

Muß man diesen unfähigen Mitarbeiter wirklich an vorderster Front einsetzen? Könnte man ihn nicht irgendwo hinter den Kulissen verstecken, bis er die Altersgrenze oder genügend Pensionsansprüche erreicht hat? Damit will ich nicht das Alter für sein Versagen verantwortlich machen, ich bin ja selbst schon 39. Auch bewundere ich Ralph Giordano, der älter ist als Jochen Denso, und habe aus meiner Jugend noch die Sendungen Axel Eggebrechts in angenehmster Erinnerung.

Was hatten die eingeladenen Gäste ihm angetan? Ich konnte sein Verhalten überhaupt nicht nachvollziehen. Ich bin selbst gelegentlich frauenfeindlich, aber doch nicht ohne Grund. Die ins Café Scala eingeladenen Frauen hatten anscheinend alle solide Arbeit geleistet, sie vertraten vernünftige Forderungen und schienen eher egalitäre Ziele zu verfolgen. Wenn ich Doppelmoral sehe2, werde ich schon wütend, aber damit nehme ich Frauen immerhin ernst. Bei Herrn Denso war von Ernstnehmen nichts zu spüren.

Mit freundlichen Grüßen
Norbert Schnitzler

1) Allerdings schaue ich mir die Verleihung des Ordens wider den tierischen Ernst und andere karnevalistischen Zumutungen nicht an.

2) Ich erinnere mich an eine Boulevard-Bio-Sendung, in der eine alleinerziehende Mutter von ihrer Suche nach einem Partner erzählte. Sie warf den Männern generell vor, sich nach zwei Fragen zu verdrücken (Bist du allein? - Ja - Hast Du Kinder? - Ja), selektierte aber selbst nicht minder. Unter denen, die auf ihre Kontaktanzeige antworteten, hatte sie schon eine Vorauswahl getroffen, und dann hat sie noch einen stehengelassen, der mit Fahrradklammern kam. Das nenne ich Doppelmoral.


WDR Regionalstudio
- Lokalzeit -
Karmeliterstraße 1
52064 Aachen

30. November 1997

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Bericht über ein Geschichtsvideo der Zeugen Jehovas

Sehr geehrte Damen und Herren,

In meiner unbeantwortet gebliebenen Kritik an einem Beitrag vom 17. November schrieb ich:

Soeben entdecke ich bei der Lektüre aktueller Tageszeitungen in der Frankfurter Rundschau vom 4. November 1997, S. 12 eine Dokumentation unter dem Titel "Geistliche im 'Dienst der Volksgemeinschaft'. Warum Juden in der Nazi-Diktatur nicht mit der Unterstützung der katholischen Kirche rechnen konnten". Darin heißt es:

Wenn ich auch nicht weiß, ob Sie einen katholischen Religionslehrer zeigten, so bekräftigt dieses Zitat doch meine damaligen Bedenken gegen ihren Bericht.

Mit freundlichen Grüßen
Norbert Schnitzler


Diesmal bewirkte mein Brief eine Reaktion, Frau SPITZER rief bei mir an und bat um Rückruf, was zunächst nicht so einfach war. Schließlich kam es doch zu einem Gespräch. Dabei erfuhr ich:

Immerhin, das ist doch ein Ergebnis.

 

Die Wewelsburg
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