Horst Köhler
Andrea Nahles
Georg Schramm
Horst Köhler |
oben |
Eine Woche nachdem der vorherige Bundespräsident HORST KÖHLER in einer Pressekonferenz seinen Rücktritt "mit sofortiger Wirkung" angekündigt hatte, habe ich mal in das Gästebuch des Bundespräsidialamtes geschaut. In den vorangegangenen Jahren hatten sich dort bis zum Rücktritt etwas über 2300 Einträge angesammelt, zuletzt von RALF WÜNSCHE am 30.5.2010 Bestürzung über die Interviewäußerung zur Verteidigungspolitik, dann explodierten die Wortmeldungen und bis zum 8.6. kamen schon 2000 Einträge hinzu:
Am 6.6. habe ich mich deshalb selbst zu Wort gemeldet.
Sehr geehrter Herr KÖHLER,
Ihr Verhalten war nicht in Ordnung. Den Respekt vor dem Amt mögen manche vermissen gelassen haben, aber Schaden nahm es allenfalls dadurch, daß Sie selbst den Respekt vermissen ließen. Ein solches Amt verlangt mehr Pflichtgefühl.
Man hätte es allerdings ahnen können. Wenn ich mir jetzt noch einmal durchlese, mit welchen wirren Worten Sie am 21.7.2005 die Auflösung des Bundestages begründeten, nachdem die rotgrüne Regierung nicht etwa dort, sondern im Bundesrat die Zustimmung verloren hatte:
Wenn ich das also lese, dann sehe ich einerseits wieder eine Begründung, die mit der Folgerung nichts zu tun hat (es wird ja nicht über Alterung, Kinder und föderale Ordnung abgestimmt), und andererseits das Hinnehmen einer Flucht aus der Verantwortung. So wie Sie damals SCHRÖDER hätten auffordern müssen, seine Parlamentsmehrheit weiter zu nutzen und zu versuchen, damit bis zum Ablauf der Legislaturperiode durchzukommen, so hätten Sie auch selbst noch vier Jahre durchhalten müssen. Besser wäre allerdings gewesen, Sie hätten sich nicht zur Wiederwahl aufstellen lassen. SÖDERs Drohung im Zusammenhang mit CHRISTIAN KLARs Gnadengesuch wären ein überzeugendes Argument gewesen.
Aber wer für GERHARD SCHRÖDERs taktische Spielchen den Bundestag auflöst, bringt es auch fertig, sich selbst aufzulösen.
Diese Woche wurde eine Unesco-Untersuchung [Irrtum, es war die UNICEF] über die Lage von Kindern vorgestellt. Von denen leben in Deutschland 20% in Armut und Hoffnungslosigkeit. Trotzdem erwartet man von ihnen, durchzuhalten und die Zähne zusammenzubeißen. Selbst wenn sie gemobbt werden, hilft man allenfalls eine andere Schule zu finden. Zurücktreten können Kinder nicht.
Ihnen hätte man sicher auch geholfen, Ersatz für Mitarbeiter zu finden, die das Bundespräsidialamt schon verließen, oder mit denen Sie nicht mehr zusammenarbeiten wollten, wenn denn das das Problem gewesen wäre. Davon hätten Sie Gebrauch machen können. Der Rücktritt aber war nicht angemessen.
Wenn aber nicht das Betriebsklima im Bundespräsidialamt sondern der mangelnde Respekt von außen das Problem war, hätten sie das einerseits hinnehmen müssen, wo es sich nicht ändern ließ und andererseits auch um Anerkennung kämpfen können, etwa durch Erläuterung ihrer Interviewäußerungen. Mehr Respekt wird sonst gern von Gruppen eingefordert, die berechtigte Kritik scheuen. Mit einem Kritiktabu versuchen z.B. manche Migranten Zweifel an ihrer Anerkennung hiesiger zivilisatorischer Standards abzuwehren. Da haben Sie sich in eine zweifelhafte Nähe begeben. So taugen Sie nicht mehr als Vorbild.
Mit freundlichen Grüßen
NORBERT SCHNITZLER
Die Einträge werden gelesen und gelegentlich freigeschaltet. Um Spam zu vermeiden, ist das auch sinnvoll. Aber gerade wenn es um den ehemaligen Chef geht, ist die Auswahl der veröffentlichten Einträge vielleicht nicht ein proportionales Abbild der geschriebenen.
Aus den vielen Einträgen habe ich noch die wenigen ausgesucht, die wenig oder kein Verständnis für den Rücktritt zeigen. Sie geben nicht meine Meinung wider. Die Rechtschreibung habe ich nicht geändert. Aus dem Beitrag von MARTIN SCHMITZ, Magdeburg (1.6.) lerne ich, daß man mehr Chancen auf Veröffentlichung hat, wenn man bereits andeutet, daß die Meinung sowieso nicht erscheinen darf. Dann können Gästebuch- und KommentarseitenadministratorInnen leichter beweisen, wie tolerant sie sind. Ich will darüber aber nicht meckern, habe ich doch selbst hier bewußt kein Gästebuch eingerichtet.
Andrea Nahles |
oben |
Die SPD hat nach KOEHLERs Rücktritt eine andere Strategie eingeschlagen als bei den beiden Wahlen 2004 und 2009, bei denen sie dem nun zurückgetretenen Präsidenten GESINE SCHWAN entgegenstellte. Das finde ich immer noch recht geschickt, nur die kleinlichen Reaktionen auf das Verhalten der Linkspartei in der Bundesversammlung erscheint mir unpassend. Später hatte ich Gelegenheit, dies als Kommentar zu einem Artikel im Onlineauftritt des "Vorwärts" einzutragen. Das Parteiblatt der SPD hat meinen Kommentar veröffentlicht, was speziell im Vergleich zum Bundespräsidialamt sehr sympathisch und erfreulich ist. Umgekehrt muß ich mir dann auch Kritik gefallen lassen, diesmal berechtigte Kritik an meinem Stil.
Zur SPD-Taktik schrieb ich (ohne dafür angegriffen zu werden):
Die SPD hat m.E. bis zur Wahl WULFFs alles richtig gemacht. Den Erfolg am Abstand der Stimmen für die eigene Kandidatin zum Sieger zu messen, ist zu einfach. GESINE SCHWAN war vielleicht näher dran, aber der entscheidende Trick beim Vorschlag war ja, daß man den Anhängern von Union und FDP zeigte, daß ihr "Durchregieren" bei KÖHLER gescheitert war und deshalb die gleiche Vorgehensweise beim Auswählen eines Nachfolgers nicht allzu gut im Volk und bei den eigenen Leuten ankam. Das ist gelungen und wird bleiben. Als zweites Ziel hätte man noch verfolgen können, die Linken subtil zu verdächtigen, GAUCK wegen seiner Tätigkeit als Beauftragter für die Stasiunterlagen abgelehnt zu haben. Das ist zwar allenfalls die halbe Wahrheit, dafür aber auf den ersten Blick schon naheliegend.
Aber nach der Wahl auf den Linken rumzuhacken, die eigentlich für diese Strategie nicht benötigt wurden, und soweit sie benötigt wurden (um selbst verdächtigt zu werden) gut mitgespielt haben, ist wieder typische SPD-Mäkelei, so wie man nach der Wahl ROMAN HERZOGs an seiner Äußerung, er wolle das Amt "unverkrampft" ausüben, herummäkelte. Dabei ausgerechnet das Ergebnis des ersten Wahlgangs so zu deuten, daß in ihm GAUCK gewählt hätte werden können, wenn die Linksparteileute geschlossen für ihn gestimmt hätte, ist ja dumm, weil es die Versuchsanordnung geändert hätte. Dann hätten die WulffwählerInnen nämlich bestimmt vorher Wind davon bekommen und nicht so deutlich ihrer Führung einen Denkzettel gegeben und WULFF wäre gleich gewählt worden. Weder besser für die SPD (schon im ersten Wahlgang gescheitert) noch für die Linkspartei (Verrat an ihren Idealen und vorgeführt worden) noch für ein Bündnis farblos-rot-grün (nicht unter Gleichberechtigten). Hätte man aber (völlig unrealistische Vorstellung) die Verabredung geheim halten können und die "Bürgerlichen" reingelegt, weiß ich nicht, ob ein mit solchen Tricks gewählter GAUCK überhaupt die Wahl angenommen hätte.
Was hätte GABRIEL also nach dem Dritten Wahlgang machen können? Z.B. An die Tradition der SPD erinnern können, bessere bürgerliche Kandidaten zu finden als ihre Gegner. So hat sie ja schon 1959 (erinnere mich noch, da war ich 1 Jahr alt) CARLO SCHMID gegen ADENAUER ins Spiel gebracht, der damals mit dem Gedanken gespielt hat, ins Präsidialamt zu wechseln, um LUDWIG ERHARD als Nachfolger zu verhindern. Dann hat er sich informiert, daß er dort gar nicht so viel Macht hat, und ist weiter Kanzler geblieben. Wahrscheinlich ist aber die SPD zu geschichtslos, um sich daran zu erinnern, schließlich hat man ja auch LAFONTAINEs Parteibuch lieber geschreddert als es dem Haus der Geschichte zu spenden.
Z.B. hätten GABRIEL, NAHLES, OPPERMANN usw. auch als moralische Sieger auf die Linkspartei zugehen können, und ihr klarmachen können, daß es diesmal wichtiger war, die Union zu verwirren als die Opposition zu einen.
Womit ich die SPD verärgert habe, waren die vor der Bundespräsidentenwahl eingereichten Fragen an ANDREA NAHLES, an die ich erinnerte.
Vor ein paar Wochen wollte der Vorwärts ANDREA NAHLES interviewen und bat im SPD-Newsletter um die Einsendung von Fragen. Das Interview suchte ich gerade vergeblich, als ich auf diesen Kommentar stieß. Frau NAHLES hat ja oft Gelegenheit, ungefragt ihre Meinung zu verbreiten, mag sein, daß dann die Zeit knapp wird, sich fragen zu lassen. Meine am 21.6.2010 um 16:11 eingeschickten Fragen bezogen sich auf einen Aspekt der Bundesversammlung, den auch KURT NICKEL verschweigt:
Hallo Frau NAHLES,
Sie haben am 3. Juli 2009 laut Bundestagsprotokoll 16/231, S. 26166 gegen den Vorschlag der Fraktion Bündnis90/Grüne (Drucksache 16/11885) eines Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes gestimmt. Damit sollte das verfassungswidrige Wahlrecht, das nach BVerfG ohnehin bis 2011 geändert werden muß, noch vor der Bundestagswahl der Auslegung des höchsten Gerichts angepaßt werden. Die SPD sah sich durch den Koalitionsvertrag zwar verpflichtet, nicht gegen den Koalitionspartner zu stimmen, hätte möglicherweise die sofortige Entlassung der SPD-BundesministerInnen riskiert, aber auch bei der Bundestagswahl die 21 Überhangmandate der Union verhindert, die jetzt GAUCK fehlen.
Soweit meine Mail. Mit dem geänderten Wahlrecht (dem von der SPD immerhin OTTO SCHILY zustimmte) wäre der Unionsvorsprung über 20 Stimmen geringer gewesen, was zumindest die Wahl von GAUCK erleichtert hätte. Das will man wohl nicht mehr wissen.
Ich gebe zu, das war nicht gerade höflich. So machte ich es KURT NICKEL leicht, mir zu entgegnen:
abgesehen vom Inhalt Ihrer Mail an Frau NAHLES, über dessen Einzelheiten ich mich jetzt nicht äußern möchte, stelle ich einzig fest, dass die 4 Punkte der Fragestellung ... beinahe entwürdigend ist. Dann können sie jemanden ja gleich fragen, ob es ihn stört, dass er dumm ist oder sonst was. So lange der Begegnungsstil einer Frage dorthin kanalisiert wird, dass dem Gefragten die Antwort in der Frage vorgegeben wird, so lange würde ich auch nicht antworten. Versuchen Sie es doch einmal mit Fragen auf der Sachebene. Ich denke, da ist die Chance größer, eine Antwort zu bekommen.
Schauen wir uns also die Sachebene an. Durch einen ungewöhnlichen Vorfall in Dresden - die aussichtslose NPD-Direktkandidatin war kurz vor der Bundestagswahl 2005 gestorben und konnte nicht mehr ersetzt werden, die Wahl mußte wiederholt werden, als überall sonst im Bundesgebiet schon ausgezählt war - wurde erstmals die Möglichkeit des negativen Stimmgewichts genutzt. Die CDU hatte in Sachsen mehr Direktmandate erworben, als ihr nach den Zweitstimmen für ihre Landesliste zustand, hätte sie auf der Landesliste noch etwas weniger Stimmen erhalten, wäre ihr rechnerisch auf Bundesebene für ihre Zweitstimmen zwar kein Mandat von einer anderen Partei abgenommen worden, aber innerhalb der ihr aufgrund der Zweitstimmen zustehenden Mandate hätte sich eine andere Verteilung zugunsten eines CDU-Landesverbandes ohne Überhangmandate ergeben. Sachsen hätte also den Anspruch auf ein Listenmandat abgegeben und ein anderer Landesverband ein Listenmandat wirklich hinzugewonnen durch absolut weniger Stimmen für die CDU bundesweit (aber nur in Sachsen). Bei der eigentlichen Bundestagswahl wußte das natürlich niemand, bei der Nachwahl aber wohl, und so konnte man dazu raten, die CDU nicht mit Zweitstimmen zu unterstützen. Es ging ja nur um Sachsen, wo alle Unionsabgeordneten als Direktkandidaten gewählt wurden. Und darum kann man ja separat kämpfen. Das BVerfG hat dies am 3.7.2008 für verfassungswidrig erklärt, aber eine großzügige Frist zur Wahlrechtsänderung eingeräumt, von der die Union im Bundestag Gebrauch machen wollte, denn sie versprach sich bei der Bundestagswahl 2009 viele Direktmandate und damit auch einige Überhangmandate in Ostdeutschland, wo ihr meist eine kleinere Linkspartei und eine noch kleinere SPD gegenüberstehen, die es schwer haben, Direktmandate zu gewinnen.
Bei früheren Bundestagswahlen hatte eher die SPD Überhangmandate. Das würde sich bald ändern, und es wäre in ihrem Interesse gewesen, die vom Verfassungsgericht geforderte Änderung schon vor der Bundestagswahl von 2009 zu verabschieden. Die beiden (oder drei) Parteien der großen Koalition hatten also entgegengesetzte Interessen und haben sich erwartungsgemäß nicht geeinigt. Nach Koalitionsvertrag sollte aber nur gemeinsam abgestimmt werden. Bündnis90/Grüne hat gleichwohl versucht, mit einem eigenen Vorschlag das Wahlrecht zu ändern. Diesmal war die SPD dem Koalitionsvertrag treu (ich habe an anderer Stelle bedauert, daß sie sich in NRW über die Vereinbarung mit den Grünen hinweggesetzt und einfach den Dortmunder Flughafen gefördert hat) und hat zwar die grünen Vorschläge befürwortet, in der namentlichen Abstimmung aber nicht unterstützt. Es gehört sich wirklich nicht, den Koalitionsvertrag zu brechen. Dafür von der Kanzlerin kurz vor Ende der Legislaturperiode vor die Tür gesetzt zu werden, hätte man aber vielleicht in Kauf nehmen müssen. Politisch war nicht mehr viel zu erledigen oder zu verlieren. Für die SPD begründete KLAUS-UWE BENNETER die Haltung der Partei:
Bei den Überhangmandaten ist es so darauf komme ich jetzt , dass sie schon lange in der Diskussion sind. Dass sie immer nur den großen Parteien nützen, wissen wir schon lange. Aber dass sie verfassungswidrig sind, wissen wir auf den Tag genau erst seit einem Jahr... Die Grenze der zulässigen Berücksichtigung eigensüchtiger Interessen wird auf jeden Fall dann überschritten, wenn wir eindeutig wissen, dass das Wahlrecht verfassungswidrig ist. Das wissen wir aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts seit einem Jahr.
Nun komme ich zu Ihrer Behauptung, jetzt sei es zu spät; 80 Tage vor der Wahl könne man das Wahlrecht nicht mehr seriös ändern. Auch das stimmt nicht. Man kann das Wahlrecht durchaus ändern; denn die Änderungen betreffen in keiner Weise ... die Kandidatenaufstellung, sondern ausschließlich die Berechnungsmethode nach der stattgefundenen Wahl...
Nun zu der Frage der Union, warum diese Eile erforderlich sei; das Bundesverfassungsgericht habe uns doch Zeit bis 2011 gelassen. Das stimmt, das hat das Bundesverfassungsgericht getan. Ursache ist vielleicht ein schlechtes Gewissen des Gerichts, das besser schon vor zwölf Jahren GERHARD SCHRÖDER hätte recht geben sollen. SCHRÖDER ist als Ministerpräsident von Niedersachsen 1996 mit sehr guten Gründen vor das Bundesverfassungsgericht gezogen, weil er schon vor über zehn Jahren die Überhangmandate im Bundeswahlrecht für ver- fassungswidrig hielt. In einer knappen Vier-zu-vier-Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht die Überhangmandate für zulässig erklärt. Jetzt hat sich herausgestellt, dass GERHARD SCHRÖDER von Anfang an recht hatte...
Es ist gute Tradition dieses Hauses ..., dass Wahlrechtsänderungen gemeinsam besprochen und von allen mitge- tragen werden. Dass die Union solche Gespräche ernsthaft nie geführt hat, ist nicht in Ordnung. Das ist ja auch in ihren eigenen Reihen aufgefallen. Der Bundestagspräsident hat offen erklärt, er würde eine Wahlrechtsänderung noch in dieser Legislaturperiode begrüßen... Übrigens, auch die FDP verweigert sich jetzt.
(Zuruf von der FDP: Sie doch auch!)
Sie möchte gerne Arm in Arm mit der Union in eine neue schwarz-gelbe Zukunft spazieren, auch wenn diese dann auf verfassungswidrigen Füßen stehen sollte.
(Widerspruch bei der FDP)
Das ist schon ganz schön sonderbar. Ich kenne die FDP als eine Partei, die die Bürgerrechte immer gerne hochhalten will.
Die Grünen sagen nun: Liebe SPD, ihr könnt das verhindern. Ihr braucht nur unserem Gesetzentwurf zuzu- stimmen,
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN IRMINGARD SCHEWE-GERIGK [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zum Beispiel!)
dann ist alles paletti. Wir wissen: Dann ist nichts paletti. Das wissen auch Sie. Wenn wir so verfahren, wird der Bundesrat über die Landesregierungen, an denen Union und FDP beteiligt sind den Vermittlungsausschuss anrufen und dann das Verfahren über Vertagungsanträge lahmlegen. Eine Wahlrechtsänderung ist in dieser Situation nur mit der Union möglich. Das müssen wir leider zur Kenntnis nehmen; das ist nun mal so. Wir sind der Koalition nicht mehr verpflichtet als der Verfassung das Gegenteil wird uns ja vorgehalten , aber wir sehen die realen Machtverhältnisse, und um die geht es.
Die Abläufe stellte der Redner so dar:
Wir haben Ihnen einen ausformulierten Gesetzentwurf vorgelegt, und zwar schon vor geraumer Zeit,
(THOMAS OPPERMANN [SPD]: Vor vier Monaten!)
in dem wir dargelegt haben, wie man mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vernünftig umgehen kann. Ich hatte hier ja schon die Abläufe dargestellt. Sie waren doch derjenige, der mit mir noch in der Sommerpause des letzten Jahres einen Termin ausgemacht hatte, dann aber diesen Termin mit ganz fadenscheinigen Ausflüchten hat platzen lassen. So sagten Sie, es gebe noch internen Gesprächsbedarf. Natürlich haben wir das erst einmal akzeptiert. Den ganzen Winter über habe ich dann aber darauf gedrängt, dass ein Gespräch stattfindet. Erst im März ist es dazu gekommen, als sich der Koalitionsausschuss damit befasst hat. Ihre Partei musste dazu gedrängt werden, dass wenigstens eine Arbeitsgruppe auf der Ebene der Parlamentarischen Geschäftsführer eingerichtet wird.
Für Bündnis90/Grüne entgegnete WOLFGANG WIELAND:
Sie sagten, Sie wurden hingehalten. Kollege HARTMANN hat etwas süffisant gesagt, die SPD habe dabei mitgemacht, weil ihr etwas in Aussicht gestellt worden sei; in Wirklichkeit habe es sich um Scheinverhandlungen gehandelt. Sie haben zu Recht gesagt, das Ganze ist vom Bundesverfassungsgericht eindeutig als verfassungswidrig beurteilt worden.
Nun sagen Sie als Begründung dafür, warum Sie dem Antrag der Grünen nicht zustimmen wollen, nachdem das Ihr Kollege MÜNTEFERING und Ihr Kollege STRUCK noch vor wenigen Wochen angekündigt hatten und THOMAS OPPERMANN das sogar noch am Montag dieser Woche mit den Worten: Wir werden zustimmen, bestätigte,
(THOMAS OPPERMANN [SPD]: So nicht!)
dass sich auf einmal eine andere Mehrheit im Bundesrat ergeben habe und dass das deswegen nicht mehr ginge. Das ist nicht überzeugend. Sie haben gut gebrüllt es war alles richtig, was Sie hier gesagt haben , nun müssen Sie auch zubeißen. Das erwarten wir von Ihnen...
Sehenden Auges mit einem verfassungswidrigen Wahlrecht in eine Wahl zu gehen, ist eines Rechtsstaates unwürdig. Das ist auch respektlos vor den Wählerinnen und Wählern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. GERT WINKELMEIER [fraktionslos])
Professor MEYER, der frühere Präsident der Humboldt-Universität, hat in der Anhörung ich gebe zu: sehr zornig; aber da kann man auch sehr zornig sein Folgendes gesagt:
Wörtlich sagte er weiter:
Auch heute wollen Sie herumsitzen und nichts tun. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
Aber verhindern konnte er es auch nicht. Und daß nun ausgerechnet vor der Bundesversammlung die neue Harmonie der beiden Oppositionsparteien dadurch getrübt wurde, daß die Grünen nochmal an die knapp ein Jahr zurückliegende Debatte erinnerten, habe ich auch nicht bemerkt.
Hier das Abstimmungsergebnis (beschränkt auf die SPD)
Georg Schramm |
oben |
Am 9.6. verkündete der Kabarettist GEORG SCHRAMM, Bundespräsident werden und der Oberschicht beim Sommerfest unbequeme Wahrheiten sagen zu wollen:
weitere Links