WWW-Tipp der Woche 44/2001

Bei meinem kürzlichen Berlin-Besuch wurde ich durch das Jahrbuch 1999 für Steglitz auf das Thema dieser Surftippfolge gebracht, denn MICHAEL KARNETZKI schreibt dort über

    Die Märchenwelt des Mittelalters und der Traum vom Fliegen.
    Zwei Seiten im Leben des Architekten GUSTAV LILIENTHAL (1849 - 1933)

    Wer zum Beispiel in Steglitz beim Autohaus MICHAEL HADAD einen kleinen Abstecher von der Birkbuschstraße in die dahintergelegene Barsekowstraße nicht scheut, der steht auf einmal vor einer dieser geheimnisvollen Burgen mit Erkern, Zinnen und neugotischen Spitzbogenfenstern, die mit roten Klinkern eingefaßt sind...

    Das Haus birgt tatsächlich ein Geheimnis, doch ist es ein Geheimnis aus dem letzten Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts. Sein Architekt GUSTAV LILIENTHAL war der Bruder des berühmten Flugpioniers. 1849, ein Jahr nach seinem Bruder OTTO geboren, verkörperte er in seinem Schaffen wie kaum jemand sonst die eigentümliche Verbindung zwischen technischindustriellem Fortschrittsstreben und romantischem Rückbezug auf das Mittelalter, die das aufstrebende deutsche Bürgertum vor dem ersten Weltkrieg auszeichnete. Er war an den Forschungen seines Bruders zur Erfindung des Fliegens beteiligt und entwickelte mit ihm zusammen den Steinbaukasten, bevor er nach längeren Aufenthalten in Prag, London und Australien in Berlin als freier Architekt tätig wurde. Der Fachwelt ist er als der Erbauer der "Burgen von Lichterfelde" bekannt. Noch 22 dieser Landhäuser haben die Zerstörungen des Krieges überlebt, unter anderem auch sein eigenes Haus im englischen Tudorstil in der Marthastraße 5 in Lichterfelde-West.


http://www.steglitz.de/jahrbuch/glilienthal.jpg

Da GUSTAV LILIENTHAL auch zwei Jahre an SCHINKELs Bauakademie studierte, weise ich noch auf Surftipp 12/2001 zu KARL FRIEDRICH SCHINKEL hin. Noch mehr über GUSTAV LILIENTHAL erfahrt ihr aus BERND LUKASCHs Aufsatz auf der Homepage des Anklamer Lilienthal-Museums.

Der Architekt war auch Bildungspolitiker, Sozialreformer und Gründer einer Genossenschaft:

Die Anker-Steinbaukästen passen eigentlich nicht in meine Serie zu untergegangenen Firmen, denn sie werden heute noch produziert, allerdings nach einer langen Pause (1963-1995). Der Hersteller hat eine hübsch gemachte und zudem ausführliche Homepage, auf der auch die Geschichte der Anker-Steinbaukästen breit dargestellt und die wahren Erfinder der Steine nicht verschwiegen werden.

(Interessant auf der Firmenhomepage: Fotoalbum zeigt aber nur 3 Gebäude, Kids-Corner mit JAVA-Version des Spiels Breakout, natürlich mit Anker-Steinen, Demos mit VRML Plug-In)

Auch die Herstellung der Steine wird dort in mehreren Bildern gezeigt.

    1875 Auf der Suche nach dem "echten Baugefühl"
    Die Brüder OTTO und GUSTAV LILIENTHAL (1848 – 1896 bzw. 1849 – 1933) erfinden, als Alternative zu den bei größeren „Bauwerken“ eher weniger stabilen Holzklötzchen, eine Methode, aus Quarzsand, pulversiertem Kalk und Leinölfirnis präzis geformte und stabile Mineralbausteine herzustellen. Durch Dr. JAN GGEORGENS, einen bekannten, auf die Ausbildung von „Frauen und Kindern“ spezialisierten Erziehungswissenschaftler, kommen die Gebrüder LILIENTHAL in Kontakt mit dem Leipziger Unternehmer F. AD RICHTER. Dr. GEORGENS Bücher werden in RICHTERs „Lehrmittel-Anstalt“ verlegt. Zusammen mit RICHTER gab GEORGENS auch eine Zeitschrift mit dem Titel „Neuer Kindergarten“ heraus. GUSTAV LILIENTHAL fertigte für eines der Bücher von Dr. GEORGENS Illustrationen an und schuf die Entwürfe für eine Serie von „Georgens Spielzeugen“. Im Rahmen dieser Tätigkeit kam GUSTAV LILIENTHAL schließlich auf den Gedanken, zusammen mit seinem Bruder OTTO, dem Ingenieur und späteren Pionier der Luftfahrt, einen neuartigen Spielbaustein zu entwickeln.


http://www.ankerstein.org/images/richter.jpg

RICHTERs Biographie wird beim Club der Ankerfreunde durchaus kritisch gesehen:

Weitere Etappen zitiere ich wieder aus der Firmenhomepage:

Wie beliebt die Anker-Steinbaukästen sein sollten (jedenfalls wurde es vom Hersteller nicht zu Unrecht so dargestellt), zitiert die

    Braunschweiger Zeitung vom 04. Dezember 1999:
    Kinderträume, aus Ankersteinen gebaut
    Im thüringischen Rudolstadt entstehen wieder die begehrtesten Baukästen des vergangenen Jahrhunderts

    Von THOMAS PARR

    "Es leuchtet bei Herrn Maler Danz
    Der Weihnachtsbaum im Lichterglanz.
    Der Ferdinand, der Ferdinand
    Der nimmt den Kasten in die Hand
    Er weint. "Na Jung, du bist ja ganz
    Verzweifelt?!" meint Herr Maler Danz.
    Der Kasten hier ist nicht von Richter,
    Ganz falsche Hefte, schlechte Steine,
    Das ist der Grund, weshalb ich weine." -
    Herr Danz, der hat erstaunt gelauscht
    Und hat den Kasten umgetauscht."

    Im Jahre 1912 stand dieser Reim auf einem Blatt des Abreißkalenders der Firma F. Ad. Richter & Cie. aus Rudolstadt/Thüringen. Ein Kunde hatte die Zeilen gedichtet. Gemeint ist der Anker Steinbaukasten, das begehrteste Weihnachtsgeschenk kleiner Jungen von 1882 bis etwa 1930.


http://www.ankerstein.org/images/ef.jpg

Die Bauvorlage stammt aus der ersten Serie, ist für Anfänger eigentlich zu kompliziert (sagt sogar der Amsterdamer Club der Ankerfreunde) und konnte nicht aus den Steinen gemacht werden, in deren Baukasten die Anleitung lag. Nun ja, ComputernutzerInnen wissen, daß sie die Version 1.0 meiden sollen. Jedenfalls waren die Steine bald so beliebt, daß die Firmenniederlassung nach dem Ersten Weltkrieg in den USA beschlagnahmt blieb und dann verkauft wurde.

1921 wurden Chemische Werke und Steinfabrik in zwei unabhängige Akriengesellschaften aufgespalten, 1939 die Produktion der Steine eingestellt und 1953 schließlich die Firma in Rudolstadt wird von der DDR in einen volkseigenen Betrieb (VEB) umgewandelt, aber 4 Jahre später die Produktion wieder aufgenommen:

Diese Verpackung des

    ANKER-Großblock-Montage-Baukasten "Pionier"

habe ich am 2.8.1991 in Den Haag aufgenommen.

Weitere Bilder dieser Ausstellung im "Madurodam" zeige ich in der Rubrik "Sammlungen/Modellbau"

Dem Berliner Akustikprofessor GEORG PLENGE und Staatsknete von EU und Thüringen ist zu verdanken, daß mit alten Geräten 1995 die Herstellung von Anker-Steinen wieder aufgenommen werden konnte.

Das Spielzeug konnte auch gleich einige Preise und Auszeichnungen einheimsen.

Der schon erwähnten Club der Ankersteinfreunde hat alle erschienenen Baukästenserien aufgelistet und bietet auch sonst gute Informationen (nur Fotos von Veranstaltungen vermisse ich etwas) und viele Abbildungen, wenn auch eine bescheidene Navigation.

Die Freunde der Ankersteinbaukästen zeigen auch ein Gebäude des Monats, momentan die Stuttgarter Stadthalle

Gelegentlich berichten auch Zeitungen über das Lilienthalmuseum in Anklam oder den Ankersteinhersteller in Rudolfstadt, so z.B.

Weitere Bilder, aber keine zusätzlichen Fakten über Ankersteine gibt es noch hier:

Zwei Übersichten über Bausteine kann ich noch empfehlen:

Hintergrundmusik: turntostone.mid

Weitere Bilder einer Ausstellung in Den Haag
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