WWW-Tipp der Woche 5/2001

Der BUBACK-Nachruf
Das Celler Loch
Das SPD-SED-Grundsatzpapier
Exkurse und weitere Links

Der Buback - Nachruf

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Am 7.April 1977 erschossen Terroristen der RAF Generalbundesanwalt SIEGFRIED BUBACK. Sowohl der damalige Bundesjustizminister HANS JOCHEN VOGEL als auch der Rechtsanwalt HEINRICH HANNOVER erinnert sich daran, wo sie davon erfuhren: VOGEL im Griechenland-Urlaub in einem Café in der Nähe von Mistra, HANNOVER in einem Gerichtssaal in Köln. VOGEL schreibt darüber in

HANS JOCHEN VOGEL
Nachsichten
Meine Bonner und Berliner Jahre
ISBN 3-492-03828-X
R. Piper
München 1996

Es ist schwer oder unmöglich, im WWW herauszufinden, was für ein Mensch BUBACK war. Bei der Lektüre der Erinnerungen des damaligen Bundesjustizministers und eines Verteidiger von durch die Bundesanwaltschaft Angeklagten fallen mir jedoch ähnliche Beurteilungen auf:

Der Lebensweg HEINRICH HANNOVERs ist faszinierend, weil oft mit wichtigen Ereignissen der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik verknüpft. So kommen seine Memoiren auf zwei Bände, wobei im hiesigen Zusammenhang der soeben zitierte zweite Band von Interesse ist:

HEINRICH HANNOVER
Die Republik vor Gericht 1975-1995
Erinnerungen eines unabhängigen Rechtsanwalts
ISBN 3-7632-4972-9
Aufbau-Verlag
Berlin 1999

In der Juristenausbildung wird er wohl nicht erwähnt. Ich kenne selber einen Rechtsanwalt, wenn auch einen schlechten, den ich erst auf HANNOVER aufmerksam machen mußte. Immerhin kennt er UWE WESEL, erkennt den aber auch nicht an der Stimme, weil er nie Gedanken zur Zeit oder Kritisches Tagebuch hört.

HANS DANIEL schrieb über "Die Republik vor Gericht" in der Jungen Welt.

Dieser Nachruf - wenn man es nicht weiß, ahnt man es schon - war der MESCALERO-Nachruf, der in der vergangenen Woche Bundesumweltminister JÜRGEN TRITTIN angehängt werden sollte, und dessen wirklicher Autor KLAUS HÜLBROCK sich erst jetzt bekannte (Bericht in der FR und Hintergrundbericht). Es begann damit, daß BUBACKs Sohn TRITTIN im Zug nach Berlin traf und zur Distanzierung vom Nachruf aufforderte, dieser dem Verlangen nicht nachkam, sondern zwei kluge Fragen stellte: "Warum sollte ich?" und "Haben Sie den Text zuende gelesen?" MICHAEL BUBACK berichtete darüber am gleichen Abend in der Sendung "SABINE CHRISTIANSEN", zu der er unterwegs war.

Der BUBACK-Nachruf und die Dokumentation der 48 Hochschullehrer sind im Internet mehrmals veröffentlicht. Ich stütze mich auf das Glasnost-Archiv, weil ich annehme, daß dieser Link länger erhalten bleibt als andere und weil ich dort auch den Scan herhabe.

Was stand drin? Berühmt wurde der Satz von der "klammheimlichen Freude". Wenig später heißt es:

Wäre das alles, könnte ich die Verfolgung dieses Artikels verstehen. Aber gleich danach heißt es:

Ich sehe darin zwei Aspekte: der Verfasser zweifelt (zu Recht) 1. an der Massenbasis der RAF und 2. daran, ob BUBACK das verdient hatte, was ihm das "Kommando ULRIKE MEINHOF" antat. Zuvor hatte sich der Verfasser in die Rolle der Täter versetzt und (wohl anders als diese) auch an die Begleiter gedacht, von denen einer (GÖBEL) schon tot war, der andere (WURSTER) noch nicht.

Die daraus gezogenen Schlüsse sind eine der radikalsten Absagen aus der Sympathisantenszene an den RAF Terror, nur wurde das damals entweder nicht gesehen oder geleugnet:

Damals wurde der Nachruf von keiner Tageszeitung veröffentlicht, jetzt (zusammen mit der Einleitung, die die damaligen Herausgeber hinzufügten) immerhin von der Frankfurter Rundschau, die auch die damaligen Einwände des Bremer Hochschulsenators bringt.

War das wirklich wichtiger? Hatten das nicht schon andere getan?

Beim Oldenburger Prozeß gegen 13 der 48 Herausgeber der Dokumentation vertrat HEINRICH HANNOVER den Psychologieprofessor PETER BRÜCKNER, GERHARD SCHRÖDER einen anderen Angeklagten:

Andere Gerichte hatten schon die Eröffnung einer Hauptverhandlung abgelehnt, in Oldenburg mußten die Verteidiger sieben Verhandlungstage für ein unvoreingenommenes Urteil kämpfen, bei dem der ganze Text und nicht nur ausgewählte Zitate bewertet wurde. Der Freispruch hinderte allerdings den niedersächsischen Minister für Wissenschaft und Kunst, PESTEL (CDU) nicht an Disziplinarstrafen und Suspendierungen gegen PETER BRÜCKNER, die erst Ende 1981, kurz vor dessen Tod am 10.4.1982 aufgehoben wurden.

Daß die Unterstellung des MESCALEROs, "daß die Entscheidung zu töten oder zu killen bei der herrschenden Macht liegt, bei Richtern, Bullen, Werkschützern, Militärs, AKW-Betreibern", findet bei BUBACKs Nachfolger KURT REBMANN eher eine Bestätigung als bei dem ermordeten Generalbundesanwalt. In

Die Skandale der Republik
1949-1989.
Von der Gründung der Bundesrepublik bis zum Fall der Berliner Mauer
hrsg. von GEORG M. HAFNER und EDMUND JACOBY
ISBN 3 499 19682 4
Rowohlt Verlag
Reinbek bei Hamburg 1994

lese ich über ein Brainstorming im Großen Krisenstab am 8.9.1977, drei Tage nach der Entführung von HANNS MARTIN SCHLEYER:

WOLFGANG KRAUSHAAR ist auch der Herausgeber der Protestchronik, die ich auf eine einsame Insel mitnehmen würde.

SUZUKI reagierte auf das Attentat wirklich unverschämt. Die 750 GS, mit der die Attentäter geflohen waren, war damals die schnellste Serienmaschine und wurde in der Werbung als "Sportskanone für Scharfschützen" gepriesen (HANNOVER a.a.O., S. 85). "Wir sind diesem Versuch, mit dem Entsetzen ein Geschäft zu machen, nachdrücklich entgegengetreten." VOGEL, a.a.O. S. 66)

Das Celler Loch

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Wenn von Niedersachsen eine Gefahr für die demokratische Ordnung der Bundesrepublik Deutschland ausging, dann durch das Verhalten von Landesregierung und Verfassungsschutz im Zusammenhang mit dem "Celler Loch". JÜRGEN TRITTIN war übrigens Mitglied des Untersuchungsausschusses zu diesem Skandal. Es handelt sich dabei um den Versuch, einen Informanten in die RAF einzuschleusen. Dagegen ist nichts einzuwenden, wohl dagegen wie es gemacht wurde, wie später darüber informiert wurde und was dabei alles schiefging. Hier ist das WWW wieder wenig informativ, so daß ich mich hauptsächlich wieder auf "Die Skandale der Republik" stütze, und zwar auf

ECKART SPOO:
Die Staatsbombe. Wie Niedersachsens Regierungschef ERNST ALBRECHT den Terrorismus bekämpfte
a.a.O. S. 286-293

Am 25.7.1978 sprengten niedersächsische Verfassungsschutzbeamten ein Loch in die Mauer der Celler JVA. Die Landesregierung und die Anstaltsleitung wußten Bescheid, Bundesregierung und Polizei nicht. Den Medien wurde vorgeschwindelt, der Anschlag sei ein Befreiungsversuch für SIGURD DEBUS gewesen, tatverdächtig sei KLAUS-DIETER LOUDIL, ein vom Hafturlaub nicht zurückgekehrter Schwerkrimineller. Der Verfassungsschutz hatte sogar zwei Kriminelle angeworben, der andere war MANFRED BERGER. DEBUS aber hatte nicht nur nicht versucht, die beiden für terroristische Zwecke anzuwerben, er war nicht mal selbst RAF-Mitglied.

Die Regierung ALBRECHT stellte die Aktion als mindestens achtfachen Erfolg dar (z.B. Zugang zu Terrorismus, Ausbruch vereitelt, Waffen gefunden), aber jede dieser Behauptungen konnte im Untersuchungsausschuß widerlegt werden. ERNST ALBRECHT vertrat übrigens in einem Buch die Ansicht, Folter sei in bestimmten Situationen ein erlaubtes Mittel, Verbrechen aufzuklären. Was mit DEBUS geschah, war nahe dran. Ein weiterer Geschädigter der Aktionen war der Maurer MANFRED GÜRTH, in dessen Wohnung LOUDIL eingezogen war. Nach LOUDILs Auszug entdeckte man dort eine Bombe, wofür GÜRTH zu drei Jahren Haft wegen Vorbereitung eines Sprengstoffanschlags verurteilt wurde, aber vermutlich hatte LOUDIL die Bombe gebaut. BERGER wurde danach noch oft straffällig, aber 1981 für 30 Straftaten mit sechseinhalb Jahren milde beurteilt, weil "die Tätigkeit für eine niedersächsische Institution es dem Angeklagten unmöglich gemacht hat, sich in die Gesellschaft normal einzugliedern und ein bürgerliches Leben zu führen." Geschädigt wurde auch die vom Verfassungsschutz getäuschte Polizei, die zwei bewaffnete "Ausbrecher" jagte, die immer wieder Tipps bekamen und rechtzeitig flüchten konnten.

Die Landesregierung bezifferte den Schaden der Aktion allerdings nur auf 150 DM (für die Mauerreparatur). Da ihr das Gefängnis gehörte, hätte sie es auch beschädigen dürfen. Das ist was die Kosten angeht etwa so, als ob man die Kosten eines Castortransportes am Dieselverbrauch der LKWs mißt und (so ECKART SPOO) nach der Logik hätte auch GÖRING den Reichstag abfackeln dürfen.

Ach so: Die CDU wollte ERNST ALBRECHT mal zum Kanzlerkandidaten machen, aber dann setzte sich doch FRANZ JOSEF STRAUSS durch. Bei der nächsten Wahl stellt sich vielleicht die Frage "ROLAND KOCH oder EDMUND STOIBER?"

Weitere Links:

Das SPD-SED-Grundsatzpapier

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Das WWW ist lückenhaft. Erneuter Beweis:

Am 4.9.1997 veranstaltet der WDR zum 20. Jahrestag eine Podiumsdiskussion über den "Deutschen Herbst". Anwesend waren z.B. HANS JOCHEN VOGEL und RUPERT VON PLOTTNITZ.

Geleitet wurde die Sendung von HELGA KIRCHNER. Ich war im Publikum, weil ich endlich mal meine Lieblingsjournalistin CLAUDIA WOLFF kennenlernen wollte, was mir auch gelungen ist. VOGEL erwähnte dabei auch den MESCALERO-Nachruf, den er scharf verurteilte. Ich fragte ihn deshalb später, wieso gerade er, der als Vorsitzender der SPD die Partei oft gegen unberechtigte Vorwürfe wegen eines gemeinsamen Grundsatzpapiers mit der SED verteidigen mußte, gegen den BUBACK-Nachruf so polemisiere. Schließlich zeige doch die Analyse des gesamten Textes, daß er Gewalt ablehnt. VOGEL verstand mich nicht (was nicht wundert wenn man an seinen peinlichen Auftritt in "ZAK" denkt), sondern verwies auf die ermordeten Begleiter und wie sich die Hinterbliebenen bei der Passage über Fotos im Verbrecheralbum fühlen. (Wenn das so eine schlimme Passage ist, muß sich SCHRÖDER vom Fahndungsplakat der CDU auch beleidigt fühlen. Ich glaube eher, daß er sich über diesen Rohrkrepierer freut.) VOGEL hat zum BUBACK-Nachruf wohl eine gefestigte Meinung, die sich auch in den "Nachsichten" a.a.O. S. 65 wiederfindet.

Das erwähnte SPD-SED-Grundsatzpapier ist nirgendwo im WWW zu finden! Ausgerechnet der CDU-Ortsverband der Stadt, in der ich wohne, wird von Google als erste Fundstelle für "SPD SED Grundsatz" genannt:

wahrscheinlich, weil dieser Vorwurf in dem Text zweimal auftaucht.

Der vollständige Text ist leider nicht online, vielleicht weil es 1987 noch nicht üblich war, sich im Internet zu präsentieren. Und als die Parteien damit anfingen, war es für die SPD kein Thema mehr, für die CDU-CSU immerhin noch gelegentlich als Vorwurf an die SPD zu gebrauchen, auch von ihrem obersten Strippenzieher:

VOGEL selbst schreibt darüber

Ich habe der SPD eine e-mail geschickt, mit der Bitte, dieses Grundsatzpapier und andere wichtige Dokumente ihrer langen Geschichte im WWW zu veröffentlichen. Man antwortete mir:

und schickte mir den Text und die Stellungnahme der Grundwertekommission 1992. Ich veröffentliche beides, um dem Mangel des WWWs abzuhelfen.

Exkurse und weitere Links

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Da FISCHER anscheinend überhaupt nichts mit dem MESCALERO-Nachruf zu tun hat, gehe ich hier auf die Frankfurter Spontiszene nicht ein und verweise auf das FR-Special.

Trotzdem möchte ich doch auf einen merkwürdigen Gegensatz hinweisen. Die Fragestunde im Bundestag am 17.1.2001 zu Fischers damaligem Verhalten, die dann zu einer Aktuellen Stunde ausgeweitet wurde, brachte wenig Klärung, aber viele oft läppische Fragen, die von vornherein nicht zur Aufklärung geeignet waren. Ich finde das legitim, weil ich grundsätzlich meine, daß ein Recht gefährdet ist, wenn man von der Art der Ausübung abhängig macht, ob es weiter gewährt wird. Genau das aber plant die CDU in Thüringen, wie ich kürzlich aus "Deutschland heute" im DLF erfuhr:

siehe dazu die Pressemitteilung der PDS-Fraktion vom 19. Januar 2001.

Zu CARRERO BLANCO vgl.

Göttingen ist bis in die jüngste Zeit Ort heftiger Auseinandersetzungen gewesen, Polizei und Staatsanwaltschaft konnten aber letztlich wenig beweisen, worauf die grüne Landtagsabgeordnete SILKE STOKAR in der Sitzung des niedersächsischen Landtags am 15.7.1999 hinwies:

TRITTIN, BUBACK, MESCALERO: Remake eines Stückes aus dem Tollhaus

Leider kommt es immer wieder vor, daß Texte bewußt mißverstanden werden, um künstliche Aufregung zu erzeugen, oder unbewußt, weil der eigene Verstand nicht ausreicht. Letzteres ist auch ein Problem der Schule, wo Quellenkritik gelehrt werden muß. Wenn ich den Eindruck habe, daß ich nicht verstanden werde, fordere ich manchmal "Sag das mal mit eigenen Worten", um zu überprüfen, ob ich etwas wiederholen muß.

Gegen bewußtes Mißverstehen hilft das aber nicht. Das vermute ich oft bei PolitikerInnen. Die Rede PHILIPP JENNINGERs zum 50. Jahrestag der Reichskristallnacht ist m.E. tadellos und absichtlich mißverstanden worden, wobei er mir aber nicht leid tut, weil er 1976 STAECK-Plakate gegen die PINOCHET-Diktatur abgerissen hatte.

Literatur:
KLAUS STAECK, DIETER ADELMANN
Der Bonner Bildersturm
oder: was die CDU von Demokratie hält
Steidl Verlag
Göttingen [schon wieder!] 1976

Die Aufregung um das TUCHOLSKY-Zitat "Soldaten sind Mörder" ist ein weiteres Beispiel dafür. Aber auch Militärgegner sind mir schon unangenehm aufgefallen, als ein Gericht einem Kriegsdienstverweiger mangelnde Überzeugung bescheinigte, der zwar dummerweise gesagt hatte, bei einem Verkehrsunfall einen Menschen zu töten sei für ihn genau so eine Gewissensbelastung wie auf Befehl beim Militär, der aber nicht seinen Führerschein abgeben wollte. Das ist wirklich unlogisch und daß ihm die Anerkennung als Kriegsdienstverweiger verwehrt wurde geschah ihm Recht. Von interessierten Kreisen wurde es so dargestellt, als dürften Autofahrer nicht mehr den Kriegsdienst verweigern. (Ich selbst habe übrigens 1984-1986 Zivildienst geleistet. Ich habe kürzlich beim Umzug meinen Wehrpaß wiedergefunden.)

Hintergrundmusik: http://celine-sa.hypermart.net/BD-BDylan-The%20Times%20They%20Are%20A-Changin'-2.mid
BOB DYLAN schrieb den Text 1963

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