Solidarität mit Ingrid und Ursula

Erfahrungen mit den Frauen gegen Gen- und Reproduktionstechnologie

Zum Kongreß gegen Gen- und Reproduktionstechnik in der Essener Zeche Carl sind Frauen aus der ganzen Bundesrepublik und aus dem deutschsprachigen Ausland angereist. Ich gucke mir die Publikationen an, die ausliegen, spreche mit ein paar Frauen, um rauszufinden, welche die interessanteste Arbeitsgruppe ist, und gerate dann wirklich in eine, die mir ganz neue Perspektiven erschließt.

Als erstes höre ich, daß eine alte Forderung der Frauenbewegung, das Recht auf den eigenen Körper, wie es mit der Formel "Mein Bauch gehört mir" gefordert wurde, neu bewertet werden muß. Selbstbestimmung können Frauen schließlich mißbrauchen, um sich im Reagenzglas befruchtete Eier einpflanzen zu lassen, um sich als Leihmütter zu vermieten oder als Prostituierte. An Stelle der Selbstbestimmung soll eine kollektive Entscheidung treten. Wie soll das funktionieren?

Die Frauen sollen gemeinsam diskutieren und dann entscheiden, im Kollektiv

- Welche Frauen? Nachbarinnen, Arbeitskolleginnen, Freundinnen oder wer?

- Frauen eben. Im Kollektiv erzielen sie eine Übereinstimmung.

- Und wenn nicht?

Alle Macht dem Kollektiv. Weg mit den Gesetzen

In der idealen Gesellschaft kommt sowas nicht vor. Dann wird eben weiterdiskutiert. Selbstbestimmung ist ein Wert der bürgerlichen Gesellschaft, erfahre ich. Besser ist die natürliche, kollektive Entscheidung, wie sie vor den Hexenverfolgungen gang ung gäbe war. Damals haben sich die Frauen nicht reinreden lassen.

Gesetzliche Regelungen, wie immer sie aussehen mögen, werden abgelehnt. Statt dessen wird die Abschaffung der Gesetze gefordert. Ich traue meinen Ohren nicht. Die Abschaffung der Gesetze gegen Gen- und Reproduktionstechnik? Es gibt doch überhaupt keine. Nein, die Abschaffung der Gesetze überhaupt ist gemeint.

Ich schaue mich um. Die meisten Frauen hier sind jung, gerade zwanzig bis Anfang dreißig, vom Jargon her Studentinnen. Aber nicht alle. Doch von den älteren geht keine Mäßigung aus. Keine Erklärung, wie ein Rechtsstaat funktioniert, welche Vorteile er bietet, gerade für die Schwachen.

Maria Mies, die Wortführerin der Gruppe, Professorin an einer Kölner Fachhochschule für Sozialarbeit, ich schätze sie auf knapp sechzig, begründet ihre Ablehnung der Gesetze aus der Geschichte der Frauenbewegung. Damals hätten wir Frauen auch die Abschaffung des Abtreibungsparagraphen gefordert.

Bei einzelnen Gesetzen kann ich mir das vorstellen. Aber insgesamt? Die Abschaffung sämtlicher Gesetze? Eine komplexe Gesellschaft, wie die unsere, ohne Rechtssicherheit und verbindliche Regelungen?

Dann wird diskutiert, wie mögliche Gefahren der modernen Reproduktionstechniken abgewendet werden sollen. Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit werden genannt. Sicher, sowas darf nicht vernachlässigt werden. Auf kirchliche Gruppierungen soll Einfluß genommen werden. Insbesondere wird eine Veranstaltung in Bad Boll genannt, zu der Frauen aus kirchlichen Organisationen kämen, die ansprechbar wären, obwohl ihnen der Durchblick fehle.

Trotzdem: Öffentlichkeitsarbeit ist schön und gut, aber sie bringt es nicht. Damit kommt frau nicht weiter. Frauen müssen den Widerstand selbst in die Hand nehmen und ihre Rechte verteidigen.

Solidarität: gerne - Kritik: nein danke

Was soll das bedeuten, frage ich. Ich ernte ein mildes Lächeln. Eine Kleine schreit, wir brauchen die Revolution, und reckt ihre zarte Faust. Ich bin bereit, es ihrem Alter zugute zu halten. Aber auf den anderen Tischen wird wild geklopft.

Ein paar Monate später werden die Räume des Genarchivs und anderer Gruppen, die sich gegen Gen- und Reproduktionstechnik wenden und die auch den Essener Kongreß veranstaltet haben, durchsucht. Ingrid Strobl und Ursula Penselin werden verhaftet.

Ich schaue mir das Genarchiv an. Es befindet sich in einer zweckentfremdeten Wohnung, die dem wachsamen Auge des Essener Wohnungsamtes offenbar entgangen ist. Das Archiv besteht aus einigen Büchern und einer Sammlung von Zeitungsausschnitten. Dabei handelt es sich nicht um Artikel aus Fachzeitschriften, sondern um Ausschnitte aus äblichen Tages- und Wochenblättern, wie meine Oma sie über Gartenpflanzen gesammelt hat. Aber anders als meine Oma, die ihrem Hobby auf eigene Kosten nachging, wird diese Sache finanziert. Die Frauen gehören zum Essener Verein "Frauen helfen Frauen", der einen Haushaltstitel hat und Geld von der Stadt kriegt, und sie werden durch ABM-Stellen vom Arbeitsamt gefördert. Ich frage, an welchen Aufgaben sie arbeiten und was sie in der nächsten Zeit planen. Das wird sehr ausweichend beantwortet. Besonders fällt mir auf, daß sie kein Interesse an einer Mitarbeit von Außenstehenden haben. Ich finde es merkwürdig. Die meisten politischen Gruppen, die ich kenne, sind da offener.

Auf einer Riesensolidaritätsveranstaltung, für die die Kölner Universität, die auch schon Ziel eines Anschlags war, ihre Aula zur Verfügung gestellt hat, versuche ich mich zu informieren.

Ingrid Strobl ist angeblich festgenommen worden, weil sie einen Wecker gekauft haben soll, der bei den Anschlägen Verwendung fand. Was mich brennend interessieren würde, ist, ob sie einen Wecker des gleichen Fabrikats gekauft hat oder genau den, der benutzt wurde. Aber weder die Rednerinnen aus den verschiedenen Gruppen noch die Anwältin von Ingrid Strobl nehmen zu den Tatvorwürfen konkret Stellung. Wir erfahren, daß die Bundesrepublik ein mieser Verein ist, der politisch aktive Leute einsperrt, um sie mundtot zu machen. Aus dem Publikum kommt keine Frage. Sind die Leute aus ganz Deutschland angereist, um solche Gemeinplätze zu hören?


Tübingen, Juli 1988

An Stelle konkreter Informationen werden verschiedene Aktionen, auch Anschläge gegen Institute im Kölner Raum, gerechtfertigt. Für Leute, die sich auch "engagieren" wollen, werden Termine genannt. Eine Diskussion kommt nicht zustande. Nach den Statements gehen die Leute auseinander. Warum sagt oder fragt keiner was? Denken sie sich ihren Teil?

Ein paar äußern im persönlichen Gespräch ihre Vorbehalte. Aber laut fällt kein kritisches Wort. Die Leute auf dem Podium können das Gefühl mit nach Hause nehmen, in einer breiten Solidaritätswelle zu schwimmen.

Verschlungene Wege zur Publizität

Das tut ihnen gut. Zum Abschluß wünschen sie sich, daß auch die Gen- und Reproduktionstechnik soviel Aufmerksamkeit finden wird wie die verhafteten Frauen. Ihr Wunsch geht in Erfüllung. In den nächsten Wochen erscheinen in vielen Zeitungen Artikel zum Thema. Viele kleie Zeitungen drucken sogar unveränderte Ergüsse des Genarchivs ab.

Die Gesamthochschule Essen gibt einer winzigen Alternativzeitung sogar einen Druckkostenzuschuß und finanziert dem Genarchiv eine Art Selbstdarstellung. In dem mit dem Geld der Uni Essen finanzierten Artikel rechtfertigen die von der Kriminalisierung "betroffenen" Frauen einen Sprengstoffanschlag auf den Technologiepark Heidelberg, die Störung von zwei Biotechnologiemessen in Hannover und Düsseldorf und nicht näher beschriebene Aktionen gegen humangenetische Beratungsstellen.

Der Zweck heiligt die Mittel

Im Anschluß an den Artikel findet sich eine Solidaritätsadresse verschiedener Essener Frauenprojekte. Ich spreche mit einigen "solidarischen" Frauen, schildere meine Eindrücke vom Kongreß gegen Gen- und Reproduktionstechnik. Im Gespräch sehen die Frauen die Sache differenzierter. Aber nach außen, da muß Frau eben zusammenhalten.

Eine kleine Düsseldorfer Frauenzeitung interviewt die Rechtsanwältin von Ingrid Strobl, ohne ihr eine einzige kritische Frage zu stellen. Im Anschluß an das Interview schreibt die Redakteurin, deren Tätigkeit durch eine ABM-Stelle möglich gemacht wird, durch die Verhaftung sollen kritische Journalisten eingeschüchtert werden. Mir kommt der Gedanke, daß sie dann wirklich nichts zu fürchten hat.

Die ABM-Stelle ist nicht die einzige Förderung, die die Zeitung erhält: ihre Redaktionssitzungen werden als Kurs der Volkshochschule abgerechnet, und das Kulturamt schaltet Anzeigen, ohne einen Blick auf die kaum verkaufte Auflage zu werfen.

Im Mai nehme ich am Bundestreffen der Frauengesundheitszentralen teil. Mit einer Frau vom Frankfurter Frauengesundheitszentrum, die auch gegen Gen- und Reproduktionstechnik aktiv ist, gerate ich in eine Diskussion. Ich bleibe freundlich, sage aber, daß ich Anschläge nicht für ein geeignetes Mittel der politischen Auseinandersetzung halte.

- Die Anschläge sind doch nur gegen Sachen.

- Sie sollen die Leute massiv unter Druck setzen und einschüchtern

- Aber das hat es doch gebracht. Seitdem wird viel mehr über uns geredet. Wir stehen in allen Zeitungen. Und werden zu Vorträgen eingeladen.

Damit hat sie leider recht. Wie ich von den Genarchiv-Frauen gehört habe, sind sie jetzt als Fachfrauen und Referentinnen bei Volkshochschulen und anderen Bildungswerken heiß begehrt.

- Trotzdem, das ist keine Methode

- Du fällst völlig auf diese Kriminalisierungstaktik des Staates rein. Findest du etwa richtig, daß sie Ingrid und Ursula einfach einsperren, bloß um uns fertig zu machen?

- Warum sagt Ingrid nicht, wo dieser Wecker geblieben ist, wenn sie nichts mit dem Anschlag zu tun hat?

Im Bann der Schweigespirale

Die Frankfurterin stampft wütend mit dem Fuß auf und zieht ab. Ich habe das Gefühl, daß der Widerspruch für sie völlig unerwartet kommt. Von den Schweizer Frauen, die zugehört haben, sagt mir eine, daß sie auch nicht für Anschläge wäre. Warum hat sie in der Diskussion nichts gesagt? Sie wollte sich nicht so exponieren.

Die zentrale Veranstaltung am Samstagnachmittag ist der Reproduktionstechnik gewidmet. Als Referentin ist eine Professorin von der Uni Bremen eingeladen worden. Ihr Honorar wird von einem Zuschuß des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit gezahlt. Am Ende ihres Vortrages schlägt sie vor, eine Solidaritätsadresse an Ingrid und Ursula, die stellvertretend für uns alle im Gefängnis sitzen, zu schicken. Ich hoffe, auch für einige andere nicht. Aber die Resolution wird ohne Widerspruch verabschiedet.


Elisabeth Riepling
Deutsches Ärzteblatt 86, Heft 6, 9. Februar 1989 (23), Seite B234 f

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