Vermutlich 1991 bezog ich noch einige Zeitschriften aus der Sowjetunion oder Rußland, die ich abonniert hatte, als man darin die Perestroika beobachten konnte. Ein Artikel im "Sputnik" hatte dessen Streichung von der Postzeitungsliste der DDR - also Verbot - zur Folge. Auch den konnte ich damals beziehen. Die meisten Organe sind inzwischen eingestellt oder werden einfach nicht mehr hierher geliefert. Wie das beim "Sputnik war, weiß ich nicht, aber "Sowjetunion heute" gibt es noch, jetzt unter dem Namen "Wostok". In einem Heft fand ich eine Anzeige, in der alte Jahrgänge angeboten wurden. Die waren zwar schon verkauft, als ich anrief, aber die Frau, mit der ich sprach, bot mir auch Bücher und andere Zeitschriften an, die ich in Bonn Beuel abholen konnte.
Es stellte sich heraus, daß sie die Witwe von RUDOLF MAERKER war
Am 10.8.2000 berichtete der Tagesspiegel:
Bei dem von der DDR-Staatssicherheit auf die SPD angesetzten Spitzel "Max" handelte es sich um den langjährigen Bonner Unterbezirksvorsitzenden RUDOLF MAERKER. Das ergibt sich aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf gegen Oberst Kurt Gailat von der "Hauptverwaltung Aufklärung" (HVA). Gailat war 1994 wegen Landesverrats zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden. Unter anderem war er zuständig für Kanzleramtsspion GUILLAUME. Über MAERKER heißt es auf Seite 64, er habe sich 1968 dem DDR-Geheimdienst selbst angeboten. Er habe über beste Kontakte zu SPD-Spitzenpolitikern wie Wischnewski und Ehmke verfügt. Seine Berichte habe er "fortlaufend" auf Tonband diktiert.
... In der Bonner SPD wird der inzwischen verstorbene MAERKER als "prägende Figur" geschildert. Wegen seiner Verdienste ist dort sogar das SPD-Haus nach ihm benannt. Er war 20 Jahre Unterbezirks-Chef. Geschäftsführerin Renate Wolters erklärte auf Anfrage, Gerüchte über eine Stasi-Mitarbeit habe es immer wieder gegeben. Die Partei habe aber nie daran gezweifelt, dass diese Gerüchte falsch seien. Mitte der 90er Jahre, so eine weitere Auskunft, habe eine Anfrage bei der Gauck-Behörde ergeben, dass gegen RUDOLF MAERKER nichts vorliege.
Als freier Journalist arbeitete MAERKER für die "Ost-West-Redaktion" des Deutschlandfunks. Dort schätzte man insbesondere seine "hörergerechte Darstellung" und profunde Kenntnis. Er galt als SED-Kenner.
Der Fall "Max" war durch einen Tagesspiegel-Bericht publik geworden. Der Spitzel hatte nach amtlicher Auskunft von 1973 bis 1987 rund 1280 Dossiers geliefert, darunter ein Papier über angebliche Verwicklungen von SPD-Führungskräften in die Flick-Affäre.
Die zum Tagesspiegel gehörenden Potsdamer Neuesten Nachrichten greifen die Spionageaffaire am 22.6.2001 erneut auf:
Die SPD hatte einen Kameraden. Einen besseren findst du nicht. Hoch klang das Lied vom braven Parteisoldaten bei der Beerdigung des langjährigen Bonner Unterbezirksvorsitzenden RUDOLF MAERKER auf dem Friedhof Beuel... Dem verdienten "Genossen Rudi" setzte die SPD ein Denkmal, benannte per einstimmigem Beschluss vom Oktober 1989 die örtliche Zentrale offiziell nach ihm: "Rudolf-Maerker-Haus".
An dem hellen Backsteinbau in der Clemens-August-Straße sucht man das Namensschild vergeblich. Der heutige Bonner SPD-Chef Ulrich Kelber meint, es fehle seit Jahren, vielleicht seit der Renovierung...
In ihrem Heimatverein erforscht niemand das bizarre Doppelleben der prägenden Figur. Auch die Bundes-SPD verdrängt das Kapitel, obwohl die Partei für die Stasi gläsern war, von München bis Kiel mit Agenten durchdrungen...
Im Übrigen hoffen die Sozis auf das kurze Gedächtnis der Öffentlichkeit, derweil die Gauck-Behörde immer mehr Material zum Komplex findet: 400 Seiten sind es bereits, aus denen der Tagesspiegel hier erstmals zitiert. Das Mitglied des Bezirksvorstands Mittelrhein lieferte demnach Dossiers über Brandt, Ehmke, Engholm, Rau, Vogel und Wischnewski an Markus Wolfs "Hauptverwaltung Aufklärung", HVA. Blatt für Blatt konkretisiert sich seine tiefe Verstrickung in Stasi-Machenschaften. Gern trug er Baskenmütze und langen Mantel. SPDler spotteten, MAERKER sehe aus wie ein Spion. Nicht ahnend, wie Recht sie hatten...
Sein Deckname ist mit der Nummer XV/1628/68 am 18. Oktober 1968 in der Sira- Datei (einem System zur Informationsrecherche der HVA) verbürgt. Unter "Vorgangsart" heißt es IMB, "Inoffizieller Mitarbeiter mit Feindberührung". MAERKER schickte "A"-Information, das Kürzel für "zuverlässig", die höchste Kategorie. Augenfällig deckt sich seine konspirative Karriere mit der Ära als SPD-Chef in der Bundeshauptstadt von 1967 bis 1986. Eine Kerblochkartei vom 25. April 1967 hält fest, er sei Journalist, arbeite für das "Referat Wiedervereinigung beim Parteivorstand der SPD". Die Rubrik "Eigenschaften" vermeldet: "tritt selbstherrisch auf". MAERKER bevorzuge "sowjetische Zigaretten und original sowjetischen Wodka". Später verfeinert er die Tabakware, pafft, so die Akte, "HB". 1972 porträtiert die Stasi ihren Agenten als "ca. 1,90 cm groß, volles dunkelbraunes Haar nach hinten gekämmt, ... Brille mit starken Gläsern, spricht Berliner Dialekt". Kühn behauptet für den gebürtigen Rheinländer.
Unheilvoll ist seine Biografie mit der des HVA-Obristen Kurt Gailat verflochten, "Max" zählte zu seinen Favoriten. Das hieß einiges, da der Boss der Abteilung II auch für Kanzleramtsspion Günter Guillaume verantwortlich zeichnete. Gailats bis zu 50 Hauptamtliche zählende Truppe betrieb im "Operationsgebiet" BRD "Aufklärung und Bearbeitung der politischen Parteien", vulgär Ausspähung und Infiltration, befehlsgemäß "tiefgründig und umfassend". Referat 1 war für die CDU / CSU zuständig, die "6" für "Chaoten", Grüne, Artverwandte. Die erfolgreichste Crew mit acht Supernasen stellte die "4", angesetzt auf die SPD, fleißig unterstützt vom dicht gewebten Zuträger-Netz...
Um 1968 hatte sich der damals 40-jährige "Max" dem MfS angeboten, da saß er beim SPD-Vorstand in der für die allgemeine Parteiarbeit zuständigen Redaktion. Später war er freier Journalist und Autor des Deutschlandfunks. Die Tarnung hätte nicht perfekter sein können, MAERKER schrieb bevorzugt DDR-Kritisches. 1978 stuft die Stasi-Hauptabteilung XX seine Artikel als "hetzerisch" ein, "gegen die marxistisch-leninistische Weltanschauung" gerichtet. Ein Beweis mehr, wie gut ihn Gailats "HVA Zwo" in der "Firma" abschottete.
Denkt man sich MAERKER als gespaltene Persönlichkeit, sprach sein zweites Ich die Neuigkeiten so banal wie effektvoll auf Band. Völlig unspektakulär transportierten Kuriere das Material von hüben nach drüben, Routine für das so genannte Verbindungswesen. Er schickte in guten Jahren 100 Berichte aus Bonn, darunter Top-Infos, die - "Streng geheim!" - auch an Erich Honecker gingen....
In der Sira-Datei, dem organisierten HVA-Gedächtnis, sind 1281 "Max"-Dokumente thematisch erfasst, die Inhaltsangabe ist 2000 Seiten lang. Zum Puzzle zusammengefügt, entsteht ein Archiv der Vergeblichkeit, es ist gleichzeitig der Beleg für MAERKERs verborgene Identität als einer der eifrigsten HVA-Zuträger. Die Papierflut setzt 1973 ein, man erfährt von ihm "interne Ausführungen Wehners über Brandt und Kühn". Schlag auf Schlag meldet der Spezialist "Einschätzungen aus dem Parteivorstand", die Ansicht zur "Tagung der Warschauer Vertragsstaaten in Bukarest" oder die Haltung von SPD-Spitze und "Kreisen der Bundesregierung" zur Ausbürgerung Biermanns...
Ein Ohrenzeuge erläutert, Spitzel dieses Kalibers hätten sich nicht nur um das Aktuelle gekümmert, sondern gezielt Material zu "Info-Schwerpunkten" besorgt. Bei Gailat hieß es: "Das kann nur der Max." In HVA-" Jahresarbeitsplänen" stand die bewährte Formel: "Realisierung / Max"! In der Summe wirkt die Masse seines Verratsmaterials zufällig und richtungslos. Die Bedeutung ergab sich nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft just aus "der Bandbreite". Ihm hätte für Agententätigkeit nach Angaben aus Justizkreisen eine Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren gedroht.
MAERKER war Mitautor des Buches "Sozialismus ist das Ziel". 1984 wurde dem linken Flügelmann parteiintern vorgeworfen, "teilweise kritiklos" Positionen der Friedensbewegung übernommen zu haben. Beim Aufruf zur Blockade des Bonner Verteidigungsministeriums fehlte er nicht. Heute ist es eine Überlegung wert, was er als SPDler Rudi und was er als "Max" aus Wolfs Rudel tat.
Warum er sich einst der DDR verschrieb, liegt im Dunkeln. Den kargen Äußerungen Gailats ist lediglich zu entnehmen, "Max" habe "ausschließlich ideell" und aus "politischer Überzeugung" gehandelt, niemals Geld kassiert...
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