Die Entwicklung des Westdeutschen Rundfunks in den letzten Jahren

meine E-Mail vom 8.8.1997

Date: Fri, 8 Aug 97 04:11 +0100

From: 0241574516-0001@t-online.de (Norbert Schnitzler)

Subject: Stichtag, WDR 2

To: wdr.de

Obwohl ich heute abend vermeintlich rechtzeitig um 18:46 WDR 2 eingeschaltet habe, bekam ich kein Wiederholung von Stichtag zu hören. Das enttäuscht mich. Könnten Sie mich mit einem Skript aufmuntern? Meist nehme ich "Stichtag" morgens mit der Schaltuhr auf. Diesmal schlief ich noch und hatte nachts die Countrysendung von NL 2 aufgenommen - leider bringt der WDR keine Countrysendung mehr. Bitte ändern Sie das! - und schlief noch. Kein Problem, dachte ich, abends wird's ja wiederholt. Aber es kam nur ein Sportbeitrag.

Leider habe ich schon mehrere Folgen verpaßt, seit ich bemerkt habe, daß es diese hübsche Sendereihe gibt. Bis ich es bemerkte, habe ich alle Folgen verpaßt, ich weiß aber nicht welche.

An diesen Daten verpaßte ich die Sendereihe aus den angegebenen Gründen:

Dienstag, 13. Mai 1997 vergessen
Sonntag, 11. Mai 1997 vergessen
Samstag, 17. Mai 1997 Strom am Recorder nicht eingeschaltet
Freitag, 6. Juni 1997 Radio stand auf Tonband
Samstag, 5. Juli 1997 falscher Sender eingestellt
Montag, 14. Juli 1997 kein Band eingelegt
Sonntag, 20. Juli 1997 vergessen, zu spät aus Köln zurück
Donnerstag, 7. August 1997 Wiederholung wurde nicht ausgestrahlt

Mit freundlichen Grüßen
Norbert Schnitzler


Die Antwort von PAUL ELMAR JÖRIS

PAUL ELMAR JÖRIS schrieb:
> Sehr geehrter Herr Schnitzler,
> herzlichen Dank für Ihre Mail vom 8.9.97. Besonders hat mich Ihr Lob für
> unsere Sendereihe Stichtag gefreut. Am 7.8.97 fiel die Wiederholung des
> Stichtages nicht aus. Allerdings mußten wir den Beitrag von Walter Liedtke
> über den Bau der Kon-Tiki auf 18.40 Uhr vorziehen, weil wir auf die
> aktuellen Ereignisse auf der Leichtatletik WM in Athen eingehen mußten.
> Als aktuelles Programm versuchen wir immer, bei allen wichtigen Ereignissen
> dabei zu sein und möglichst schnell zu informieren. Deshalb müssen wir unser
> Programmschema ein wenig flexibel halten. Wir können aufgrund der hohen
> Aktualität nicht gewährleisten, daß regelmäßige Beiträge immer exakt zur
> selben Zeit ausgestrahlt werden. Verschiebungen sind immer möglich. Solche
> aktuelle Ereignisse führen auch immer wieder dazu, daß die Wiederholung des
> Zeitzeichens auf WDR 2 ausfallen muß.
> Aufgrund des hohen Aufwandes ist es uns leider nicht möglich, einzelne
> Ausgaben des Stichtages auf Anfrage als Kassettenkopie zu versenden.
> Aufgrund sehr intensiver Untersuchungen haben wir das Musikprogramm von WDR
> 2 geändert. Die überwiegende Mehrheit unserer Hörerinnen und Hörer möchte
> keine Spezialsendung für Country-Musik, sondern bevorzugt die Mischung, die
> wir anbieten.
> Auch wenn ich Ihnen nicht helfen konnte, hoffe ich aber, bei Ihnen auf
> Verständnis zu stoßen.
>
>
> Paul Elmar Jöris
> WDR 2 Wellenleitung
> Mit freundlichen Gruessen
> Paul Elmar Joeris
> WDR2 Wellenleitung


Mein Brief an PAUL ELMAR JÖRIS vom 28.9.1997

Herrn PAUL ELMAR JÖRIS
Westdeutscher Rundfunk Hörfunk
Postfach
Köln

28. September 1997

[Ihre Zeichen/Ihre Nachricht vom] [Unsere Zeichen/Unsere Nachricht vom]
  WDR97927.DOC

Antwort auf Ihre E-Mail

Sehr geehrter Herr JÖRIS,

Stichtag

daß ein so prominenter Mitarbeiter des WDR mir antwortete, schmeichelte mir. Das hatte ich nicht erwartet. Ohnehin erwarte ich nicht mehr viel vom WDR. Aber immerhin gibt es gelegentlich auch erfreuliche Erlebnisse. Dazu zählt auch die Reihe "Stichtag"

Zeitzeichen ist wie Stichtag eine WDR-Errungenschaft. Allerdings: Würde Zeitzeichen heute erfunden, hätte es wahrscheinlich keine Chance, mehr als zwei Programmreformen zu überleben. Mit baldigem Verschwinden rechne ich auch bei Stichtag.

Kurze Rückblicke sind übrigens keine WDR-Spezialität. Der RIAS brachte schon in den achtziger Jahren ein Kalenderblatt (das ich über Kurzwelle 6005 hören konnte) und im Deutschlandfunk erfreut mich seit langem die Sendereihe Wir erinnern, die inzwischen auch um 9.05 Uhr ausgestrahlt wird, aber wozu gibt es Schaltuhren. Stichtag hat aber einen eigenen Stil, den ich leider nur schlecht beschreiben kann, aber Sie wissen sicher, was ich meine.

Zeitzeichen

Nun bin ich schon bei einer ausführlichen Antwort auf Ihre E-Mail. Als ich meinem Freund PETER von unserem elektronischen Briefwechsel erzählte, meinte er gleich, ich hätte mich als Sonderling enttarnt. Dabei ist er selbst auch einer. Auch er und ein weiterer mir bekannter Hörer (gleich und gleich gesellt sich gern) ärgern sich sehr, wenn eine Zeitzeichen-Wiederholung, auf die sie gewartet haben, ausfällt.

Solche aktuelle Ereignisse führen auch immer wieder dazu, daß die Wiederholung des Zeitzeichens auf WDR 2 ausfallen muß.

Könnte man die Wiederholung nicht bloß verschieben, also z.B. NACH DER SPIELVERLÄNGERUNG ausstrahlen? Vorziehen eines Beitrages ist allerdings ungünstig, weil wir dann noch nicht eingeschaltet haben (siehe Stichtag über Kon Tiki).Im übrigen fürchte ich , daß wir uns bald danach zurücksehnen, daß nur wegen einer Sportübertragung das Programm umgeworfen wird, scheint es doch im Dritten Fernsehprogramm schon üblich, stundenlange Sondersendungen zu bringen, nur weil eine siegreiche Mannschaft gerade zurückkehrt (Dortmund, Gelsenkirchen).

Skripte

Entschuldigung. Ich war hier vielleicht mißverständlich. Ich hätte mich auch schon sehr über den Text gefreut, also Skripte der verpaßten Folgen. Die hätten Sie mir auch als Datei oder E-Mail schicken können. Heute ist ja angeblich alles mit einem Mausklick erledigt (was aber meinen eigenen Erfahrungen mit der EDV widerspricht). Es ist immer sehr schmerzhaft für mich, wenn ich etwas verpasse. CLAUDIA WOLFF hat darüber (im Zusammenhang mit Theateraufführung zwar) mal in Gedanken zur Zeit gesprochen, und ich habe meine eigenen Empfindungen wiedererkannt.

Der WDR in meinem Leben

Der WDR hat bzw. seine Sendungen und Beiträge haben auch viel mit meinem Leben zu tun. Bevor ich noch auf Ihre Bemerkung zu Country-Countdown eingehe, möchte ich etwas weiter ausholen und Ihnen berichten, was der WDR mir bedeutet und wie er mich beeinflußt und geprägt hat. Dann verstehen Sie hoffentlich besser, warum ich im Zusammenhang mit der erwähnten Musiksendung so unzufrieden war und bin, und daß das nur ein Symptom ist. Sollte ich Probleme oder Themen anschneiden, für die Sie nicht zuständig sind, können Sie gerne diese E-Mail weiterleiten. (geht jetzt natürlich nicht, gilt auch für den Brief).

Ich bin bald vierzig Jahre alt. In meiner Jugendzeit gab es weniger WDR-Programme. Die ersten Erinnerungen habe ich an WDR 2 und das gemeinsame Programm WDR und NDR 1. Meine Eltern nannten diese Programme noch "Mittelwelle" (1) und "UKW" (2), obwohl inzwischen schon beide über UKW ausgestrahlt wurden, wenn auch meist mono. Ich erinnere mich aus meiner Kindheit vor allem an die Sendereihen Echo des Tages und Allein gegen alle. WDR 3 habe ich erst Mitte oder Ende der siebziger Jahre entdeckt, als ich auch DLF und SWF 2 für mich entdeckte. (Den DLF hielt ich vorher für den nur amplitudenmoduliert zu empfangenden Sender volkstümlicher Musik, mit dem mich meine Eltern nervten; den SWF kann ich leider nicht mehr empfangen.)

Seit 1972 bin ich politisch interessiert. Ich wurde damals 14 und fand das Zeitgeschehen hochinteressant (Mißtrauensvotum, WILLY-Wahlen, Olympia-Attentat). Privat las ich BERTRAND RUSSEL und KARLHEINZ DESCHNER und wandte mich damals von der Kirche ab. Aber ich gehöre auch zu den Zeitzeichenhörern der ersten Stunde, denn Zeitzeichen hörte ich schon im April 1972. Zunächst habe ich nur die Originaltöne aufgenommen, dann fand ich die ganze Sendung wichtig. Meine ältesten Zeitzeichen-Aufnahmen sind von Herbst 1972. Damals wurden oft noch mehrere Themen in einer Sendung verknüpft.

Manche Autoren haben mich mit den in ihren Sendungen durchschimmernden moralischen und politischen Ansichten sehr geprägt, z.B. AXEL EGGEBRECHT, JOACHIM BESSER, CAROLA STERN und PETER GRUBBE (mit der Sendereihe Vor unserer Tür), von dem man heute weiß, daß er ein unter falschem Namen lebender Nazitäter war. Trotzdem hat er gute Beiträge geschrieben, auch davon habe ich einige Cassetten aufgenommen. Andere Autoren hörte ich nur sehr gern, ohne daß sie mich so beeinflußt haben, etwa HANS CONRAD ZANDER, WALTER ANDREAS SCHWARZ oder KARL HEINZ WOCKER (welche Qualität im Vergleich zu ROLF SEELMANN-EGGEBERT). Damals kostete eine einfache C 120 sieben DM (heute eine C 90 1,20 DM), was für mich als Schüler schwer zu finanzieren war. Aber ich bin nicht ausgegangen und habe nie geraucht. Dafür ist es heute in meiner Wohnung sehr eng. So machte mich der WDR zum Sonderling!

Aber welcher WDR war das? Vor allem eine Anstalt mit sehr abwechslungreichen, aber klar gegliederten Programmen. Da gab es Wortsendungen (Echo des Tages, Nachrichten, Kommentare) zu festen Zeiten und nicht wie heute beim Stichtag auch mal zehn Minuten früher. Es gab auch Musiksendungen zu festen Zeiten, die eine und nur eine Musikrichtung präsentierten. So hörte ich nachmittags, wenn ich von der Schule zurück war, gerne eine Sendung mit Rock-Oldies. (Wurde die von ILONA POLATSCHEK moderiert? Ich weiß es nicht mehr genau.)

Mit 18 begann ich ein Studium in Aachen und hörte tatsächlich zweimal(!) in der Woche auf dem Rückweg von der RWTH nach Stolberg eine Countrysendung in WDR 2 um 18.05 Uhr. Ich glaube, montags kamen die aktuellen Charts und donnerstags die Country-Oldies. Damals bemerkte ich, daß ich diese Musik gerne höre. In den folgenden zwei Jahrzehnten weitete der WDR sein Programm aus und kürzte die Country-Sendungen, bis nichts mehr übrig war.

Country Countdown

Sie begründeten das in Ihrer Antwort auf meine erste E-Mail so:

Das vermag ich nicht zu beurteilen. In meinem Leben habe ich zwar schon phasenweise (meist im Auto) Programm begleitend gehört, aber typisch war für mich eigentlich immer das gezielte Hören. Ich will vorher wissen, was mich erwartet, sonst schalte ich nicht oder etwas anderes ein.

Was Sie schreiben, bestätigt einen Artikel des Fachblattes Western Mail (Country im Radio, Heft 2/1997, S. 5), in dem die Gedanken von Programmverantwortlichen so wiedergegeben werden:

Ich dachte zwar, daß das nur für Rundfunkprogramme gilt, mit denen Geld verdient wird - WDR 2 zählt Sonntagabends nicht dazu, aber ich unterschätzte, daß auch der WDR ständig eingeschaltet werden will.

Dabei ist Country-Countdown nur ein Symptom, das ich in meinem ersten E-Mail zufällig erwähnte, weil ich wegen einer Country-Sendung im Niederländischen Rundfunk den Stichtag verpaßt hatte. Es soll ja auch andere Geschmäcker geben, und immerhin ist es den Fans von Swing und Balladen erfreulicherweise gelungen, ihre Sendung wiederzubekommen. Warum also nicht denen von Country-Countdown - fragte und hoffte ich vergeblich.

Unter Musiklaien scheint dieser Stil zwar etwas verrufen, aber da auch der Deutschlandfunk jeden zweiten Sonntag nachts von 5.05 bis 6.00 und Deutschlandradio Berlin anscheinend jeden zweiten Donnerstag von 2.05 bis 4.00 (das kann ich aber nur im ZDF beim Straßenfeger hören, da ich nicht verkabelt bin) Country sendet, ihr Hörfunkdirektor aber laut Frankfurter Rundschau erklärt hat, man habe mit WDR 5 versucht, die Bildungselite vom Deutschlandfunk wegzulocken, kann Country doch nicht so schlecht sein.

Im übrigen wird auch die wirklich anspruchsvolle Reihe Musikpassagen in WDR 5 nicht mehr ausgestrahlt, wahrscheinlich, weil die HörerInnen vorher in ihrer Programmzeitschrift schon lesen konnten, welche Themen sie behandeln sollte, etwas, was der WDR immer mehr vermeidet.

gezieltes Hören

Den Versuch, DLF-HörerInnen abzuwerben, hielt Hörfunkdirektor THOMAS ROTH übrigens für gescheitert. Das stimmt nicht ganz, denn von Januar 1996 bis August 1997 habe ich soviel WDR 5 gehört wie nie zuvor und danach.

Ich beziehe mich dabei auf den Artikel Nieder mit dem Zeigefinger. Warum das Wortprogramm WDR 5 neu konzipiert wird in der FR vom 12. 9. 1997, S. 12:

Ich möchte jetzt auch von diesem Spezialthema weg und grundsätzlicher betrachten, was dem WDR in letzter Zeit viele meiner früheren Sympathien geraubt hat. Ich möchte fast sagen: Der WDR ist mir fremd geworden. Bei allem Lob für Zeitzeichen und Stichtag, Kritisches Tagebuch, Gedanken zur Zeit, Zeitfragen-Streitfragen und Am Abend vorgestellt, wofür Sie wahrscheinlich nicht zuständig sind, bleibt, daß der WDR viele Angebote eingestellt hat, die in einem festen Rahmen vorhersehbare (weil angekündigte) Beiträge boten:

Mir würden noch mehr Beispiele einfallen, wenn ich diese E-Mail noch eine Woche zurückhielte.

Informationen über das Programm

Die noch vorhandenen "Perlen" kann man jedenfalls lange suchen, und der WDR gibt nur vage Hilfe, wo sie zu finden sind. (Es soll ja ein "Tagesbegleitprogramm" sein!)

Mir graut vor der Programmreform, die WDR 3 zur Jahreswende noch droht. Müssen dann die FreundInnen von Barock und Frühklassik ihre Musik zwischen Besonderem Klang und sogenannter Akustischer Kunst suchen? Wahrscheinlich trifft die Reform das Kritische Tagebuch, Meinungen über Bücher und Am Abend vorgestellt, bei denen man immerhin noch zu festen Zeiten Wortbeiträge pur hören kann. Sollen die nun auch von Verkehrshinweisen und Sportberichten hin- und hergeschubst werden? Werden alle Wortsendungen zu einem Magazin zusammengelegt? Schon jetzt wird übrigens im VIDEOTEXT fast nie das Thema der Sendung Am Abend vorgestellt verraten. Die in der Hinsicht informativeren Programmhefte 1-2-3-4-5 sind schon vor Jahren eingestellt worden.

Bis Ende August hatte WDR 5 zwischen 9 und 10 Uhr immerhin drei auch in Programmzeitschriften angekündigte Beiträge: Zeitzeichen, Beziehungskisten, Horizont. Jetzt wird nur noch verraten, was in Zeitzeichen kommt. Die Folge ist, daß ich nur Zeitzeichen höre, und wenn ich um diese Zeit schlafe, nur dafür sorge, daß Zeitzeichen aufgenommen wird (was die Schaltuhr jetzt leider nicht mehr so genau trifft, weil die Verkehrshinweise den Anfang verschieben. Könnte man die Verkehrshinweise nicht in die Servicezeiten VOR DEN NACHRICHTEN verlegen?)

Weitere Anmerkungen

Die um sich greifende Magazinitis soll wohl dazu führen, daß HörerInnen dauernd das Radio eingeschaltet haben und immer WDR hören. Bei mir bewirkt sie nur, daß ich noch länger Deutschlandfunk höre, obwohl der Sender Wesel auf 102,8 hier nicht ungetrübt zu empfangen ist. Den WDR schalte ich nur gezielt ein, deshalb über die Jahre gesehen immer seltener und nicht früher als nötig (Beispiel Stichtag-Wiederholung).

Der WDR macht sich m.E. immer weniger Gedanken um die Inhalte, aber immer mehr um die Form. Selbst für die Musikschnipsel in WDR 5 schalteten sie ein Umfrageinstitut ein. Die Programme werden nicht mehr "WDR 1", "WDR 2", "WDR 3", "WDR 4" und "WDR 5" genannt sondern z.B. "Einslive" oder "WDR 2 Der Sender" (Quatsch: "Das Programm" vielleicht. Der hier zu empfangende Sender steht in Stolberg auf dem Donnerberg und strahlt auch andere Programme aus) oder "WDR Radio 5". Sie haben hoffentlich Verständnis dafür, daß ich diesen Firlefanz nicht mitmache. Auch das neue Logo (Der WDR hat 'ne Ecke ab) zeugt nur von Herumdoktern an Erscheinungsbildern.

Betrachten Sie meine Anmerkungen bitte nicht nur als Herummäkeln (was sie natürlich auch sind). Es geht auch nicht gegen Sie persönlich. Ich habe erwähnt, wie wichtig der WDR früher in meinem Leben war. Es tut mir weh, daß er sich in den letzten Jahren so sehr geändert hat. Daß mich Ihr Hörfunkdirektor als "Bildungselite" zum DLF abschiebt, ehrt mich zwar (wahrscheinlich das einzige, worin ich Elite bin), tröstet aber nicht darüber hinweg, daß die Programmdeformen seit Jahren dem WDR, den ich schätzte und genoß, und damit auch mir immer wieder neue Wunden zufügen.

Freizeitmedium

Der Rundfunk verkauft sich heute mehr als Erlebnis- und Freizeitmedium, denn als Informationsangebot. Zwar treten in Ihren Werbespots merkwürdige Blondinen auf, die Squasch spielen, sich auf eine Prüfung vorbereiten und WDR 2 hören, um mitreden zu können, wenn sie mit Freundinnen Klamotten einkaufen und dabei was erzählt bekommen; fragt sich nur worüber. Ich kann ja nicht beurteilen, wie realistisch sowas ist (in Aachen gibt es keine Frauen :-( ), mir scheint aber, daß die trotz Examensvorbereitungen nicht zur "Bildungselite" gehören.

Nicht mal die Wetterberichte, die ich selten bewußt wahrnehme, außer wenn ich auf eine folgende Sendung warte, haben ihren Informationsgehalt bewahrt. Von einem Wetterbericht erwarte ich Auskunft über Temperatur, Bewölkung, Windrichtung und -stärke, Luftdruck und Niederschläge. Aber soeben (25.9., 13.04, WDR 5) mußte ich hören: "Die Sonne scheint den ganzen Tag". In der Tat: Sie scheint den ganzen Tag, 24 Stunden lang, nur sehen wir sie nicht immer. Auf Kommentare zum Wetter verzichte ich auch gerne, insbesondere wenn sie eine Hitzewelle, derentwegen ich dem Zusammenbruch nahe bin, als "schönes Wetter" bezeichnen.

Zum Freizeitmedium WDR paßt auch die schon erwähnte Unsitte des Dritten Fernsehprogramms, stundenlange Sondersendungen über die Rückkehr siegreicher Fußballmannschaften auszustrahlen, deren Spiele kapitalkräftigere Anbieter dem WDR weggeschnappt haben. Damit nicht genug wird abends noch mal das Programm geändert und eine Zusammenfassung der Sondersendung gesendet. Einen Informationsauftrag vermag ich darin nicht zu erkennen, schon gar nicht den der Grundversorgung. Wieder einmal führt Ihnen der Deutschlandfunk vor, was Sportberichterstattung wirklich bedeuten kann. Dort erfährt man ausführlich von sämtlichen Doping-Vorwürfen und Stasi-Verstrickungen, und auch die Heuchelei der FIFA-Fair-Play-Aktivitäten wurde kürzlich (21.9., 13:25) entlarvt: 10 Strafpunkte für Trikottausch, aber nur einen für die gelbe Karte, drei für die rote. Sowas habe ich im WDR noch nicht gehört.

Wie ja der WDR auch jeden Karnevalsfurz verbreitet, und wenn mal kritischere Töne kommen (vor Jahren wurde ein Reporter zusammengeschlagen, als er fragte, ob nicht wegen Ex-Jugoslawien der Karneval abgesagt werden sollte), läßt der WDR sich jede Frechheit bieten und sendet trotzdem.

Die gleiche Anbiederung, wenn eine Politikerin einen Moderator ablehnt. Dann wird nicht etwa ein(e) anderer(e) InterviewpartnerIn gesucht, sondern ein(e) andere(r) ModeratorIn.

Auch die Souvenirs des "Mausladens", die ich kürzlich beim Tag der offenen Tür des Aachener Regionalstudios sah, zeigen mir, daß der WDR nicht mehr für mich arbeitet. Eigentlich wollte ich nur eine Jute-Tüte, hätte dafür aber etwas anderes erwerben müssen. Ich fragte den Verkäufer, ob er ein "Kritisches-Tagebuch-Tagebuch", ein "Gedanken-Zur-Zeit-Diktiergerät" oder einen "Zeitfragen-Streitfragen-Textmarker" habe, aber nichts davon - "Danach verlangt nie jemand!" Ich besaß übrigens mal eine "Monitor"-Tasse, aber die war (wie anscheinend alle WDR-Tassen) zu dünn und schon nach einem Monat Benutzung gesprungen (und zwar beim Spülen). Auch dies ein Verbesserungsvorschlag.

Generationswechsel

Wenn ich bedenke, daß meine prägenden Hörfunkeindrücke schon bis zu einem Vierteljahrhundert zurückliegen, kann ich nicht ausschließen, daß ein Generationswechsel im WDR Ursache meiner Unzufriedenheit ist. Viele geschätzte AutorInnen sind schon gestorben oder zumindest nicht mehr für den Hörfunk tätig. Andere schon deutlich älter als 50 Jahre (CLAUDIA WOLFF, OTTO KÖHLER, JOHANO STRASSER, der mir noch als Juso-Theoretiker in Erinnerung ist, UWE WESEL, HARRY PROSS usw.).

Während früher der WDR seine RedakteurInnen und AutorInnen aus der Studierstube zu engagieren schien, wirkt das jüngere Personal eher so, als sei dem üblichen Milieu der Daily Soaps (Werbeagenturen, Unterhaltungsindustrie) entsprungen. Das merke ich vor allem an der Wortwahl. SVEN CLAUDE BETTINGER hätte jedenfalls nicht "Holland" und "Niederlande" verwechselt. Heute geschieht das, und mehr noch: Flugzeuge werden zu "Fliegern", jedes Luftschiff, egal ob alt oder jung, prall oder starr zum "Zeppelin", jeder Geländewagen zum "Jeep", und m.E. der Höhepunkt (allerdings im Fernsehen, nicht im Hörfunk): Die Servicezeit Verkehr kann nicht mal den Wendekreis von den Spurkreisen eines Fahrzeugs unterscheiden.

Ich frage mich manchmal, was in langjährigen WDR-MitarbeiterInnen vorgeht, wenn sie auf die Entwicklung ihrer Anstalt zurückblicken. Vielleicht ist ja auch ein Generationenwechsel bei HörerInnen mit Ursache der von mir als Mißstände empfundenen Änderungen. Oder haben die MitarbeiterInnen, die die von mir gelobten Sendungen verantworteten, wirklich beschlossen, alles über den Haufen zu schmeißen? Meinen Sie wirklich selbst, die HörerInnen bräuchten nicht mehr zu wissen was kommt? Meinen Sie wirklich selbst, die HörerInnen bräuchten sich z.B. nicht mehr darauf verlassen zu dürfen, daß etwas immer um 18.50 kommt? In Ihrer E-Mail lese ich etwas Distanzierung (vielleicht mein Wunschdenken, vielleicht sind Sie ja nur nicht für das Musikprogramm zuständig):

Die HörerInnen sind also schuld. Ich dachte, der WDR sei schuld. Und was empfinden Sie und die anderen langjährigen WDR-RedakteurInnen dabei, wenn Ihre Sendungen an Profil verlieren (müssen), weil die "überwiegende Mehrheit" es wünscht? Tut es Ihnen auch so weh wie mir? Bevölkern Sie jetzt massenhaft den psychologischen Dienst? Vollziehen Sie die innere Kündigung? Sprechen Sie in der Kantine darüber, wie es früher war? (Ich spreche darüber oft mit den anderen erwähnten Hörern.)

Das werden Sie mir gerade verraten. Warum schreibe ich Ihnen überhaupt?

Mit freundlichen Grüßen
Norbert Schnitzler

 

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